Biografie Julius Falk

Aktueller Artikel: Neues von Julius Falk

Julius Falk wurde am 10. Juli 1898 in Östringen geboren. Sein Vater Louis (Ludwig) Falk stammt aus Malsch, war aber bei der Heirat mit Babette Wolf in deren Heimatort Östringen gezogen. In der dortigen Keltergasse wuchs Julius auf mit den älteren Schwestern Elsa und Hilde sowie dem jüngeren Bruder Berthold.

Im 1. Weltkrieg gehörte Julius zum 2. Badischen Grenadier-Regiment 110 in Heidelberg. Er geriet am 8. September 1917 bei Verdun in französische Gefangenschaft und kam ins Kriegsgefangenenlager Lille. Im Februar 1920 wurde er entlassen und kehrte heim nach Östringen.

In den zwanziger Jahren zog Julius nach Mingolsheim und wohnte in der Leopoldstraße 11. Er handelte mit landwirtschaftlichen Produkten und mit Vieh. Daneben besaß er zusammen mit seinen Geschwistern ein wenig Ackerland, welches sie gemeinsam bewirtschafteten.

Am 19. Dezember 1930 heiratete Julius Karolina Östreicher, die Tochter der Nachbarn Moritz Östreicher und Betty geb. Fuld in der Leopoldstraße 3. Karolina war am 1. November 1903 geboren, ihr Sohn Herbert kam am 5. März 1931 zur Welt. Das Familienglück währte nicht lange: am 5. März 1936, Herberts fünftem Geburtstag, starb seine Mutter. Fortan kümmerte Großmutter Betty Östreicher sich um ihn.

Karolina Östreicher and Julius Falk Wedding
Karolina Östreicher und Julius Falk (Hochzeitsbild)

Im Juli 1938 wurden die Reisepässe für Betty, Max und Herbert beantragt; am 22. August erhielten sie in Stuttgart ihre Visa für die USA. Ehe sie am 14. Dezember Mingolsheim verließen, demolierten ihnen am 10. November im Zuge der „Kristallnacht“ auswärtige SA-Mitglieder und örtliche Parteigenossen die Wohnungseinrichtung. Bei der Synagoge hatten sie nichts ausgerichtet, weil die inzwischen verkauft worden war; so ließen sich die Schergen an den Privathäusern der Familien Falk und Östreicher aus.

Überall wurden die Männer in „Schutzhaft“ genommen und ins KZ Dachau gebracht, so auch Max Östreicher und Julius Falk. Buchstäblich in letzter Stunde kam Max frei und konnte mit ausreisen. Einige Haushaltsgüter waren schon abgeschickt worden; Betty durfte nur 50 RM mitnehmen. Am 16. Dezember legte ihr Dampfer „Europa“ in Bremen ab und brachte sie nach New York. Sie waren gerettet.

Julius Falk konnte nicht mit seinem Sohn Herbert, seiner Schwiegermutter und dem Schwager Deutschland verlassen. So musste er versuchen hier zurecht zu kommen. Er hatte wieder geheiratet, im Mai 1937 war seine 2. Frau Emma geb. Spiegel aus Ahlen im Münsterland zu ihm in die Leopoldstraße 11 gezogen.

Weshalb blieb Julius Falk in Deutschland und ging nicht mit der Verwandtschaft seiner ersten Frau ins Exil?

Die folgenden Funde geben wichtige Hinweise:

Am 14. April 1935 untersagte das Bezirksamt Bruchsal Julius Falk jeglichen Handel mit Vieh; die Reichsbauernschaft hatte ihn des wiederholten unreellen Geschäftsgebarens beschuldigt. Die Gewerbekarte für den Handel mit Landesprodukten wurde ihm noch erteilt. Im September erhielt er das endgültige Verbot von Viehhandel. Im Verfahren sei festgestellt worden, dass er nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitze. Er sei zweimal wegen Betrugs vorbestraft worden. Auch habe er das Geschäft ohne Legitimation betrieben. In zahllosen Fällen habe er nicht einwandfreie Geschäfte getätigt, so dass er die verkauften Kühe wieder zurücknehmen musste. Der Bezirkstierarzt habe die mangelnde Zuverlässigkeit bestätigt. In zwei Fällen habe er einen Landwirt, der als nicht besonders intelligent galt, angeschmiert. Auch zwei weitere Bauern habe er übervorteilt. Der Tierarzt in Stettfeld habe erklärt, Falk biete zumeist minderwertige sog. Judenkühe an, die nicht trächtig sind, nicht tragend werden und nur wenig Milch geben. Auch sei sein Verhalten in einem Tuberkulosetilgungsverfahren nicht einwandfrei gewesen. Die Kreisbauernschaft habe zugestimmt eine weitere Tätigkeit im Viehhandel zu untersagen.

Die Vorwürfe sind so vage formuliert, dass ihre Berechtigung nicht zu klären ist. Das scheint Methode zu haben, und größte Zweifel sind angebracht. Bedenklich stimmt schon die Wortwahl mit der üblichen NS-Hetze. Der Tierarzt wollte offenbar den Parteiinteressen dienen, und die schlossen jede Fairness gegenüber Juden aus. Auch der schroffe Antisemitismus der Kreisbauernschaft ist hinlänglich bekannt. Ein nicht sehr intelligenter Landwirt konnte von dieser Organisation, wenn er nicht ohnehin erfunden war, leicht unter Druck gesetzt, beeinflusst und benutzt werden. Auch auf die Hilfe eines Gerichts konnte ein Jude zu jener Zeit nicht hoffen, wenn er verleumdet oder betrogen wurde und kein Geld für seine Leistung erhielt. Wohlgesinnten Richtern blieb kaum eine andere Möglichkeit, als dem Beschwerdeführer noch ehe die Sache aktenkundig wurde anzudeuten, welche Folgen seine Klage haben würde: hilflos wäre er den Schlägertrupps und anderen Schikanen der Partei ausgeliefert.

1936 entzog man Julius Falk auch die Gewerbelegitimationskarte zum Handel mit Landesprodukten wie Heu, Stroh, Futterartikeln, Mehl, Getreide und Samen. Dafür wurden erneut formale Gründe angeführt. Nun konnte der junge Witwer nur noch von den geerbten kleinen Äckern leben. Die wirtschaftliche Not wurde so groß, dass er immer mehr von seinem Besitz verpfänden musste. Er besaß gar keinerlei Mittel um eine Ausreise vorzubereiten.

Ganz deutlich wird seine Malaise in einem Schreiben der Volksbank für das Angelbachtal. Kurz nach der Emigration der Familie Östreicher informiert die Bank im Januar 1939 das hiesige Bürgermeisteramt, dass gegen Julius Falk größere Kredit- und Wechselforderungen vorliegen, die durch Hypotheken auf seinen Grundbesitz gedeckt seien. Man möge Sorge tragen, dass er sich seinen Verpflichtungen nicht durch die Auswanderung entziehe. Er hatte also keine Möglichkeit etwas zu verkaufen um damit eine Fahrkarte zu bezahlen. Noch viel weniger konnte er einen Pass beantragen.

Diese Informationen erklären, warum Betty Östreicher nur ihren Enkelsohn mitnehmen, dessen Vater aber nicht in die Ausreisepläne einbeziehen konnte. Julius Falk muss deutlich gespürt haben, dass die Trennung von seinem Sohn jetzt das Beste für diesen wäre. Dass er ihn liebte und dass ihm auch dessen Liebe wichtig war, bezeugen die kleinen Dinge, die er gemeinsam mit ihm unternahm. Noch heute erinnert sich Herbert Falk etwa gern an die Ausflüge mit seinem Vater ins hiesige Schwefelbad.

Julius Falk beschäftigte 1938 kurze Zeit den Jugendlichen Manfred Messingrau als Dienstknecht. Manfred war mit seinen Eltern und einer Schwester in Leipzig aufgewachsen; sein Großvater war ein bekannter jüdischer Lehrer und Kantor in Aschersleben. Manfred wurde nach Mingolsheim geschickt, um ein Praktikum in der Landwirtschaft zu absolvieren. Daraus darf man wohl schließen, dass er sich wie andere junge Männer auf die Ausreise nach Palästina und die Arbeit in einem Kibbuz vorbereiteten wollte. Im Mai ging er noch kurz nach Mannheim und kehrte dann nach Leipzig zurück. Anfang 1939 verließ er Deutschland Richtung Warschau, der Geburtsstadt seines Vaters. Mehr ist über ihn nicht bekannt; die Nachfahren der Schwester seiner Mutter forschen weiter nach seinem Schicksal. Diese Mingolsheimer Episode bestätigt, dass Julius 1938 landwirtschaftlich tätig war.

Nach der Verhaftung in der „Kristallnacht“ wurde Julius Falk innerhalb von zehn Tagen aus Dachau entlassen und kehrte zurück zu seiner Frau. 1939 zog auch seine ältere Schwester Elsa aus Heidelberg zu ihnen. Sie war alleinstehend; ihre Eltern waren bereits gestorben.

Am 22. Oktober 1940 wurden die drei sowie Franziska Moses aus Mingolsheim deportiert. Innerhalb von zwei Stunden sollten sie einen Koffer packen, Lebensmittel für drei Tage mitnehmen, alle Wertsachen sowie ihr Geld bis auf 50 RM abgeben und sich auf dem Marktplatz einfinden. Viele Nachbarn sahen was geschah: Sie mussten auf einen Lastwagen steigen, der sie nach Bruchsal brachte. Es wird berichtet, die Frau des Ortsbauernführers habe beim Abtransport der letzten jüdischen Mitbürger laut Beifall geklatscht. Mit allen badischen Juden wurden sie per Eisenbahn ins unbesetzte Südfrankreich gefahren und gelangten ins Lager Gurs am Fuß der Pyrenäen.

Nur vier Wochen später, am 21. November 1940 wurde für „das jüdische Vermögen des Julius Israel Falk“ die Versteigerung angeordnet; im März 1941 war der bewegliche Besitz bereits vollständig verkauft. Offenbar waren die Käufer fest davon überzeugt, dass der rechtmäßige Eigentümer nie zurückkehren und seine Ansprüche geltend machen würde.

Die Mingolsheimer Deportierten überlebten die grausamen ersten Monate unter den katastrophalen Umständen in Gurs. Männer und Frauen waren dort streng getrennt und die Familien auseinander gerissen. Elsa Falk wurde später ins Lager Récébédou überstellt, wohin viele Kranke kamen; dort starb sie am 30. Juni 1942. Im Juli/August jenes Jahres wurde das Lager Gurs aufgelöst, die Bewohner kamen fast ausnahmslos über Drancy bei Paris in die Vernichtungslager im Osten. Julius Falk wurde am 14. August mit Transport Nr. 19 von dort nach Auschwitz gebracht. Wenn er nicht sofort in der Gaskammer ermordet wurde, starb er wenige Wochen später an der unmenschlichen Zwangsarbeit.

Seine Frau Emma Falk wurde am 25. August 1942 von Gurs nach Drancy gebracht; am 2. September verließ sie dieses Zwischenlager mit Transport Nr. 27 und wurde wohl gleich nach der Ankunft in Auschwitz ermordet.

Julius’ zweite Schwester Hilda Falk lebte zuletzt in Frankfurt am Main. Am 20.10.1941 wurde sie von dort deportiert ins Ghetto Lodz; sie starb entweder dort oder wurde vergast in Chelmno.

Der jüngste Bruder Berthold Falk war von Juli bis September 1938 im Konzentrationslager Dachau und wurde von dort nach Buchenwald überstellt. Im Februar 1940 kam er frei und zog nach Frankfurt, wohl zur Schwester. Wie sie wurde er nach Lodz deportiert und starb dort oder in Chelmno am 4. Mai 1942.

Hans-Georg Schmitz, Januar 2017

Gedenken für die Opfer des Nazi-Regimes in Mingolsheim und Langenbrücken