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Im Morgengrauen

Die „Aktion Zeichen Setzen“ und die Gemeinde Bad Schönborn begehen diesen traurigen 80. Jahrestag am Donnerstag, 22. Oktober 2020, um 7.15 Uhr. Treffpunkt ist „im Morgengrauen“ an der ehemaligen Synagoge in der Friedrichstraße im Ortsteil Mingolsheim.

Die Deportation der letzten fünf jüdischen Mitbürger am 22.10.1940

Historische Ereignisse in Bad Schönborn vor 75 Jahren am 22. Oktober 1940

Die Deportation der badischen Juden nach Gurs und von dort in das Vernichtungslager Auschwitz war eine von Gauleiter Robert Wagner geplante, streng geheim gehaltene und von der Polizei mit deutscher Gründlichkeit durchgeführte Blitzaktion. Durch einen Erlass des badischen Innenministeriums in Karlsruhe vom 01.10.1935 und der Rundverfügung des Bezirksamtes Bruchsal waren die Gemeindeverwaltungen verpflichtet eine Judenkartei anzulegen, in der vierteljährlich über die Zu- und Abzüge der ortsansässigen Juden berichtet werden musste. Dadurch wusste man genauestens über die Anzahl der Juden in den einzelnen Landgemeinden und Städten Bescheid, sodass die Deportationen vom 22.10.1940 reibungslos durchgeführt werden konnten.

Am Morgen des 22.10.1940 wurden innerhalb weniger Stunden sämtliche ortsanwesende, transportfähige Juden zu zentralen Sammelstellen – in Mingolsheim war das der Marktplatz- gebracht. Von Bruchsal aus wurden sie nach Frankreich abgeschoben. Den betroffenen Bürgern blieb oft weniger als eine Stunde. Mit höchstens 50 Kilogramm Gepäck, 100 Mark Bargeld fuhren 6.504 badische Arbeiter und Angestellte, Professoren und Dichter, Viehhändler und Hausfrauen, Mütter, Väter, Brüder, Schwestern und Kinder ins Ungewisse.

Die deportierten jüdischen Mitbürger aus Mingolsheim und Langenbrücken waren:

  • Julius Falk und seine zweite Ehefrau Emma Falk, wohnhaft in der Leopoldstraße 11
  • Elsa Falk, die Schwester von Julius Falk, wohnhaft in der Leopoldstraße 11
  • Franziska Moses, 2. Ehefrau und Wittwe von Abraham Moses, wohnhaft in der Bruchsaler Straße 11
  • Selma Isaac, wohnhaft in der Dammstraße 2 in Langenbrücken.

Die Deportation der letzten jüdischen Mitbürger aus unserer Gemeinde verlief laut Augenzeugenberichte Folgendermaßen:

„Vor dem Rathaus stand ein Lastwagen, auf dem jüdische Männer und Frauen saßen, unter ihnen Franziska Moses und Julius Falk. Diesen musste ich ihre Papiere aushändigen… An diesem Morgen lief Franziska Moses ganz verzweifelt und laut weinend die Friedrichstraße hinauf und rief: “ich hab doch niemand was Böses getan und war zu allen gut- warum muss ich denn fort?“

Ein weiterer Augenzeuge berichtete, dass die Ehefrau des damaligen Ortsbauernführeres beim Abtransport der letzten jüdischen Mitbürger laut Beifall klatschte und die Stellungnahme des damaligen Ortsgeistlichen zum „Judenabschub“ lautete: “Die Deportierung der Juden ist die Strafe dafür, dass Sie sich nicht bekehren wollen.

Nachdem sie auf den am Marktplatz bereitstehenden Lastwagen verbracht wurden, ging die Fahrt zum Bruchsaler Bahnhof. Von dort fuhr der Zug ins Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen.

Die Deportierten kamen zunächst ins Lager Gurs und später in weitere Außen-Lager wie Noé und Récébédou in Südfrankreich. Hunger und Kälte und die unbeschreiblich schlechten sanitären Verhältnisse forderten bereits dort zahlreiche Opfer unter den Kranken und Hochbetagten. Eine weitere Zeitzeugin, die aus dem Lagerleben in Gurs berichten konnte, ist Emilie Baumann aus Eppingen, die in den 60iger und 70iger Jahren in Mingolsheim wohnhaft war. Emilie selbst war in Gurs interniert und erlebte die Ankunft der badischen Juden in Gurs mit. Sofort kümmerte Sie sich als ausgebildete Kinderkrankenschwester zusammen mit dem aus Karlsruhe stammenden jüdischen Kinderarzt Dr. Behrens um die Kinder. Aus ihren Erzählungen ist u.a. Folgendes vom Lagerleben überliefert:

“Ich schlief mit den Kindern in der Kinderbaracke auf dem Fußboden, es gab zu wenig Decken geschweige denn Matratzen, nur Strohsäcke. Wir schliefen immer mit den Armen über dem Kopf verschränkt, um unser Gesicht vor den Ratten zu schützen, die nachts über uns hinwegliefen.“

Von den aus Mingolsheim stammenden Juden kamen Elsa Falk und Franziska Moses als Internierte in Frankreich um:

  • Elsa Falk, die Schwester von Julius Falk kam am 30.06.1942 im Lager Récébédou um.
  • Franziska Moses kam 1943 im Lager Noé um.

Selma Isaac aus Langenbrücken wurde im August 1942 ins Durchgangslager Drancy nahe Paris gebracht und von dort aus wenige Tage danach, mit dem Konvoi Nr. 18 nach Auschwitz deportiert und sofort nach der Ankunft am 12.08.1942 vergast.

Emma Falk die zweite Ehefrau von Julius Falk verließ Drancy am 02.09.1942 mit dem Transport Nr. 27 nach Auschwitz und wurde sofort nach der Ankunft ermordet.

Julius Falk, der Vater von Herbert Falk wurde mit dem Konvoi Nr. 19 nach Auschwitz gebracht und vergast.

Die restlichen Geschwister von Julius Falk aus Östringen stammend, Berthold und Hilde Falk erlitten das gleiche Schicksal wie Julius und Elsa. Sie wurden von Frankfurt/Main aus ins Ghetto Lodz/Polen deportiert und sind dort vermutlich 1941/1942 gestorben oder im Vernichtungslager Chelmno vergast worden.

Nach der „Judensonderaktion“ vom 22.10.1940 konnte der Gauleiter Robert Wagner seinem Führer ein „judenfreies Baden“ präsentieren. Die Gendarmerie- und Polizeiposten der Gemeinden meldeten eine ordnungsgemäße Durchführung der Juden-Sonderaktion ohne besondere Vorfälle.

Bereits vier Wochen später, nämlich am 21.11.1940 wurde das „feindliche jüdische“ Vermögen des Julius „Israel“ Falk zur Versteigerung freigegeben und bis März 1941 hatte der gesamte Besitz den Besitzer gewechselt. Bis April 1941 war auch die Versteigerung des Vermögens der Familie Moses abgewickelt. Man rechnete offenbar auch in Mingolsheim nicht mehr mit der Rückkehr der rechtmäßigen Besitzer.

„Die Wahrheit aushalten
Das Höchste, was man erreichen kann,
ist zu wissen und auszuhalten,
dass es so und nicht anders gewesen ist,
und dann zu sehen,
was sich daraus – für heute – ergibt.
Hannah Arendt

Für die Initiative Stolpersteine für Bad Schönborn: Angelika Messmer

Literatur:
Willy Messmer, Juden unserer Heimat. (1986).
Willy Messmer, Judenschicksale in Bad Schönborn-Mingolsheim, im Jahrbuch des Landkreises Karlsruhe 1988.

Deportation 1940: Wohin? Warum? Was dann?

Veranstaltung mit Dr. Norbert Giovannini aus Heidelberg sowie der Lesung von Briefen aus dem Lager Gurs.

Rolf Heß war 1941 als 6-Jähriger ins Kinderheim Aspet gebracht worden und erhielt dort häufig Post von seiner Mutter und seinem Großvater. Beide wurden 1942 in Auschwitz ermordet, Rolf überlebte; er wird mit Angehörigen bei der Gedenkfeier am 22.10. in Malsch anwesend sein.

75 Jahre Deportation Gurs – Schweigeweg

08.30 Uhr Beginn im Foyer der Michael-Ende Schule

Schülerinnen der 9. und 10. Klassen unter Beteiligung der Moneschule, Michael-Ende-Schule und Realschule stimmen in den Schweigeweg ein:

Stummer Impuls – Zeitzeugenbericht – Ansprache – Lied – Schweigeweg

Schweigeweg (über Pestalozzistraße/Gartenstraße) zur Leopoldstraße, Friedrichstraße, Synagoge mit Gedenken