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Gemeinderat gibt Grünes Licht!

Claire and Herbert Falk 2013

Freudige Gesichter bei allen Unterstützern der Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ gestern Abend im Gemeinderat: mit 14 Ja Stimmen gegen 4 Nein Stimmen und bei 2 Enthaltungen hat sich der Gemeinderat von Bad Schönborn das Anliegen der Initiative zu eigen gemacht.

Herzlichen Dank an Bürgermeister Klaus-Detlev Huge sowie an die Gemeinderäte der Freien Wähler, der SPD und der Grünen Liste für die Ja-Stimmen!

Die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ wird jetzt in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bad Schönborn und dem Kreis der Unterstützer die nächsten Schritte abstimmen. Es bleibt etwas Zeit, um die Schicksale der Opfer aufzuarbeiten. Termine für die Verlegung der ersten fünf Stolpersteine sind ab September 2016 möglich.

Bild: Herbert Falk, der einzige überlebende Zeitzeuge, mit seiner Frau Claire (Quelle: Familie Herbert Falk)

Präsentation der Initiative für Gemeinderäte

Hans-Georg Schmitz hat auf Einladung von Bürgermeister Klaus-Detlev Huge die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ vor Gemeinderäten in Bad Schönborn vorgestellt.

Präsentation Initiative

Ich danke Ihnen für die Einladung! Ich bin Hans-Georg Schmitz und Pfarrer im Ruhestand. Wie kommt ein Neubürger – seit 4 Jahren jetzt in Bad Schönborn – dazu sich mit der hiesigen Ortsgeschichte zu befassen? Seit 30 Jahren staune ich über ein historisches Kleinod in Mingolsheim, dem ich bisher nie weiter nachgegangen war: den jüdischen Friedhof. Als ich auf die Aktion „Zeichen setzen“ angesprochen wurde, war ich beeindruckt, wie Schulen, Gemeinde und Bürger hier schon lange den Holocaust-Gedenktag gestalten. So beteiligte ich mich 2012 zur Vorbereitung der Ausstellung „Jüdisches Leben im Kraichgau“ bei der Erstellung einer Tafel über den Friedhof.

Quelle war für mich und alle Beteiligten das Buch von Willy Messmer, ein großer Schatz und unersetzliche Quelle. Kurz: Friedhof, dies Buch und das Engagement der letzten Jahre haben mich gepackt, und seither hänge ich am Thema fest. Dass ich eine Verantwortung und Verpflichtung dazu fühle, hat zwei Seiten: Durch die Begegnung mit Nachfahren der Malscher jüdischen Gemeinde wurde mir deutlich, wie begeistert sie sind, dass wir Ihnen jetzt einiges über ihre Ahnen erzählen und deren Häuser, Synagogen und Gräber zeigen können. Es ist für sie ein Zeichen, dass sie bei uns nicht völlig vergessen sind. Viele Alte erinnern sich noch an sie und haben sie oft auch vermisst. So bekamen die Besucher ein ganz anderes, positives Bild von Deutschland und ihrem Herkunftsort.

Fast noch stärker als den Nachkommen bin ich es aber mir selbst und unserm Land schuldig: Hier ist ein Teil unserer Geschichte, der sich über 700 Jahre zurückverfolgen lässt und fast vergessen ist. Das Motto lautet für mich also: „Sie waren ein Teil von uns“. Und sie bleiben es. Das möchte ich gemeinsam mit den Unterstützern der Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ dokumentieren und mithelfen, dass auch künftig Schüler und Erwachsene sich ihrer Herkunft stellen können.

Einer von uns war etwa Herbert Falk, 1931 hier geboren. Seine Mutter Karoline und deren Vater Moritz Oestreicher starben schon 1936; es sind die letzten Gräber hier. Der Opa war ein kleiner Viehhändler. 1933 entzogen die Nazis ihm den Gewerbeschein, so dass er von ein wenig Handel, einem Ackerstück und Hypotheken auf sein geringes Vermögen leben musste. Noch kurz vor seinem Tod sollte sein Inventar zwangs­versteigert werden, angesichts der Krankheit sah man davon ab. Als 1937 Herberts Tante Bertha nach USA emigrierte, wollte auch Oma Betty ihr folgen und besorgte bald die nötigen Papiere für sich, ihren Sohn Max und den Enkel Herbert. Herbert hatte sich nach dem Tod seiner Mutter ohnehin oft bei der Großmutter aufgehalten, drei Häuser nebenan; sein Vater Julius musste ja sehen, wie er etwas verdienen konnte. Dennoch machte er immer wieder kleine Unternehmungen mit seinem Sohn. Warum Julius nicht mit ausreisen wollte, ist uns noch unklar.

Manche Mitschüler dürften sich noch an Herbert erinnern, auch wenn er nur 1½ Jahre mit ihnen lernte und immer wieder vom Lehrer lächerlich gemacht und geschlagen wurde. Einen Monat nach der Kristallnacht, in der beide Wohnungen demoliert und geplündert worden waren, reisten sie per Schiff 3. Klasse nach Amerika. Herbert hat seine Altersgenossen nie wieder gesehen. Nur Willy Messmer besuchte ihn 1987 einmal in Amerika.

Durch Tobias Rachor, einen Ahnenforscher, der in Mingolsheim lebt und bei unserer Initiative mitarbeitet, kamen wir vor kurzem mit Herberts Tochter in Kontakt. Sie berichtete ihrem Vater von unserem Vorhaben und erhielt die gezeigten Fotos von ihm.

Das dunkelste Kapitel im Zusammenleben gipfelte in der Deportation vor genau 75 Jahren. Aufgrund der Landflucht gab es 1933 nur noch 14 jüdische Einwohner in Mingolsheim, hinzu kamen acht in Langenbrücken. Mindestens 5 von ihnen starben in den nächsten 4 Jahren, die meisten emigrierten. So lebten 1940 in Mingolsheim noch vier Personen, in Langenbrücken eine. Alle wurden deportiert und starben entweder im Lager in Südfrankreich oder wurden in Auschwitz ermordet. Wir wissen genau, wo ihre Häuser lagen. Dort, so unser Anliegen, sollen im Gehweg Stolpersteine verlegt werden, um namentlich an die früheren Mitbürger zu erinnern.

Stolpersteine sind Teil eines europaweiten Prozesses der Erinnerung und Mahnung. Sie vergegenwärtigen heute und zukünftig das gewaltsam beendete Zusammenleben mit einem Teil unserer Bevölkerung. Zum anderen wissen viele der Nachfahren von dieser Aktion. Sie warten darauf, dass auch für Ihre Familienmitglieder solche Steine verlegt werden, und scheuen keine Anreise, um dabei zu sein. Es ist für sie eine Möglichkeit zur persönlichen Versöhnung mit der Leidensgeschichte in ihrer Familie. Auch für die heute in diesen Häusern Lebenden ist das oft von großer Bedeutung, wie wir etwa in Bruchsal erlebt haben. Als wir für die BNN das Foto in der Leopoldstraße aufnahmen, hat die Eigentümerin übrigens bereits signalisiert, dass sie zumindest keine Einwände hat. Auch von Seiten der Vertreter des heutigen Judentums gibt es in Baden keine Einwände.

Für unsere Initiative ist es aber ein Anliegen, an die vertriebenen und ermordeten Mitbürger nicht nur mit einer kleinen Messingtafel zu erinnern. Ein gutes Werkzeug dafür ist unsere Homepage. Sie ist seit wenigen Wochen freigeschaltet und soll laufend erweitert werden. Schülern wie Erwachsenen bietet sie eine einfache Möglichkeit, sich genauer über diesen Aspekt der Ortsgeschichte zu informieren. Hoffentlich regt sie viele auch an, uns weiteres Material wie eigene oder Familienerinnerungen, Fotos, Briefe und Gegenstände zu überlassen. Auch die Aufstellung von Informationstafeln im Zuge eines Konzepts für Ortsrundgänge würden wir sehr begrüßen. Wünschenswert wäre, dass diese so groß sind, dass sie auch eine Reihe von Fotos enthalten. Vielleicht kann unsere Homepage überhaupt einmal Teil des Internetauftritts von Bad Schönborn oder jedenfalls damit verlinkt werden.

Eine ganze Reihe von Personen hat schon dokumentiert, dass sie den Gedanken auch in Bad Schönborn Stolpersteine zu verlegen, unterstützen. Wir sind sehr dankbar dafür. In vielen Orten im Landkreis gibt es sie ja bereits; im Frühjahr wird auch Odenheim folgen. Nicht wenige Unterstützer haben ungefragt auch ihre finanziellen Beteiligung in Aussicht gestellt zu den Kosten von 120 € je Stück.

In Zukunft könnte in ähnlicher Weise an weitere Opfer der NS-Herrschaft erinnert werden, etwa Behinderte oder Sinti. Auch lebte eine größere Zahl von in Mingolsheim und Langebrücken Geborene in anderen Orten und wurde von dort aus deportiert und ermordet. Gehwege sind ja Eigentum der Kommune. Darum bitten wir den Gemeinderat herzlich, der Verlegung von Stolpersteinen in Bad Schönborn zuzustimmen und sich das Anliegen zu eigen zu machen!

Bildquelle: Screenshot der gezeigten Folien (von Felix Harling erstellt)