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Reise in die Vergangenheit

Gemeinsam mit meinem Bruder Peter besuchten wir als 17 und 21 jährige 1980 die Familie von Herbert Falk in Algonquin, einem Vorort von Chicago, um dort drei wunderbare Wochen zu verbringen, waren wir doch neugierig auf dieses Land, das uns durch das Fernsehen damals so vertraut erschien.

Der Verbindung unserer Familien entstand durch den Kontakt von Herberts Tante, Bertha Österreicher, und meiner Stiefgroßmutter Emma Willhauck- Weickgenannt, die ihre Jugendfreundschaft über die Jahre durch Briefkontakte pflegten.

Jahrzehnte nach der seiner „Flucht“ vor den Nazis besuchte Herbert und seine Ehefrau Claire 1982 zum ersten Mal den Ort seiner Kindheit, seiner durch Gewalt zerstörten Kindheit. Erinnerungen werden wach vielleicht an letzte Begegnungen, den Abschied vom Vater, der in Deutschland zurückblieb und im KZ getötet wurde, an die Mutter die starb als Herbert 5 Jahre alt war.

Einen physischen Ort des Gedenkens für den Vater gibt es bisher noch nicht, einzig als besondere Erinnerungs- und Trauerstätte der jüdische Friedhof auf dem die 1936 verstorbene Mutter begraben liegt.

Herbert und Claire Falk waren bei ihrem ersten Besuch in Bad Mingolsheim im Hause meines Großvaters Josef Willhauck, dem damaligen Bürgermeister von dessen Ehefrau Emma Willhauck- Weickgenannt eingeladen worden und mit ihnen auch meine Familie, da Herbert ein Klassenkamerad meines Vaters, Ernst Willhauck, war. Dieser ersten Begegnung der Familien sollten noch mehrere folgen. Von Zeit zu Zeit zog es Herbert und seine Frau zu seinen alten Wurzeln zurück. Er wäre gerne noch einmal gekommen, die Strapazen der Reise wären aufgrund ihres Alters aber zu anstrengend.

Seinen 85. Geburtstag feierte Herbert in 2016 – 6 gelebte Jahre in Mingolsheim, 79 gelebte Jahre in den USA. So ist interessant zu sehen, welch wichtige Rolle die geografische Wurzel für einen Menschen spielt, der eigentlich sein ganzes Heranwachsen, sein Fuß fassen im Leben, in der Gesellschaft, fern von der Heimat durchlebt.

Anläßlich des 85. Geburtstages von Herbert machten wir uns – mein Bruder Peter, und meine Tochter Nora – nach 26 Jahren erneut auf die Reise nach Algonquin, um Herbert und seine Familie zu besuchen. Als wir in die Einfahrt fuhren, waren wir doch gleichermaßen angespannt wie neugierig … wie wird das jetzt werden. Als Claire die Tür öffnete und wir Herbert sahen, wussten wir, wir sind angekommen, das alte Gefühl des Vertrauten, dieser wunderbaren Gastfreundlichkeit und herzlichen Offenheit.

Im Laufe unserer Besuche wurden viele Erinnerungen wach und Geschichten ausgetauscht. Herbert erzählte von seiner Überfahrt zusammen mit seiner Großmutter Betty und seinem Onkel Max auf der MS Europa in die USA. Den Vater, die vertraute Umgebung hinter sich lassend, vielleicht mit einem Gefühl des Abschieds für immer, als Kind die Gefahr und Beweggründe nicht so richtig erfassend, aber auch schon Übergriffen von Lehrern und Mitschülern ausgesetzt, fuhr er in die Neue Heimat neugierig, hoffnungsvoll und ängstlich. Kurz vor der Ankunft in New York der erste Schreck. Herbert war an einer Mandelentzündung erkrankt und so wurden sie in ein Quarantänelager eingewiesen. Schließlich gab ein Arzt Entwarnung „ Der Bub hat nicht Bedrohliches und darf aussteigen“. So konnte es weitergehen im Einwanderungsverfahren, dem der Immigration Act von 1924 einer Quotenregelung für Nationalgruppen zugrunde lag.

Die Neuankömmlinge wurden in Reihen aufgestellt streng und umfassend kontrolliert. So erinnert sich Herbert, dass die Absätze der Immigranten von der amerikanischen Polizei mit scharfen Messern aufgeschlitzt wurden – um die illegale Einfuhr von Geldsummen aufzudecken. Als jüdischer Mensch in Deutschland gefährdet fuhren sie los in ein Land, an dem sie zwar sicher aber auch nicht uneingeschränkt willkommen waren. Immigranten war es erlaubt persönliche Gegenstände in Containern transportiert, mitzunehmen und so ziert noch heute ein antiker Sessel Herbert Falks Wohnzimmer, der ursprünglich im Hause seines Großvaters Moritz in Mingolsheim stand. Dieses Familienstück wird in Ehren gehalten, ein Kissen mit einer Deutschlandflagge gibt Hinweise auf die Herkunft des Sessels, der weniger als Sitzgelegenheit als vielmehr eine emotionale Brücke zu vergangenen Kindheitstagen im Hause seiner Großeltern schlägt.

Die Reise in die Vergangenheit war berührend für uns, nicht zuletzt auch wegen der Rolle meines Großvaters als politisch Mitverantwortlicher während der Nazizeit in Mingolsheim, aber auch für Herbert Falk, der erst durch das unermüdliche Recherchieren von Datenbänken durch die Initiative Stolpersteine über die Schicksale seiner in Deutschland verbliebenen Familie erfahren konnte, die die unbekannte persönliche Familiengeschichte erhellt.

Finanzielle Entschädigungen vom Deutschen Staat hat die Familie Falk nie bekommen, ein ehrendes Gedenken an seinen Vater in Form eines „Stolpersteins“ vor dem Elternhaus in Mingolsheim wo Herberts Vater, Julius Falk abgeholt und nach Gurs transportiert wurde, wurde nun initiiert. Diese Zeichen der Erinnerung weiß Herbert Falk sehr zu schätzen und unterstützt die Initiative „Stolpersteine“ auch finanziell.

Dr. Martina Willhauck-Fleckenstein, Mingolsheim

Gemeinderat gibt Grünes Licht!

Claire and Herbert Falk 2013

Freudige Gesichter bei allen Unterstützern der Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ gestern Abend im Gemeinderat: mit 14 Ja Stimmen gegen 4 Nein Stimmen und bei 2 Enthaltungen hat sich der Gemeinderat von Bad Schönborn das Anliegen der Initiative zu eigen gemacht.

Herzlichen Dank an Bürgermeister Klaus-Detlev Huge sowie an die Gemeinderäte der Freien Wähler, der SPD und der Grünen Liste für die Ja-Stimmen!

Die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ wird jetzt in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bad Schönborn und dem Kreis der Unterstützer die nächsten Schritte abstimmen. Es bleibt etwas Zeit, um die Schicksale der Opfer aufzuarbeiten. Termine für die Verlegung der ersten fünf Stolpersteine sind ab September 2016 möglich.

Bild: Herbert Falk, der einzige überlebende Zeitzeuge, mit seiner Frau Claire (Quelle: Familie Herbert Falk)

Präsentation der Initiative für Gemeinderäte

Hans-Georg Schmitz hat auf Einladung von Bürgermeister Klaus-Detlev Huge die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ vor Gemeinderäten in Bad Schönborn vorgestellt.

Präsentation Initiative

Ich danke Ihnen für die Einladung! Ich bin Hans-Georg Schmitz und Pfarrer im Ruhestand. Wie kommt ein Neubürger – seit 4 Jahren jetzt in Bad Schönborn – dazu sich mit der hiesigen Ortsgeschichte zu befassen? Seit 30 Jahren staune ich über ein historisches Kleinod in Mingolsheim, dem ich bisher nie weiter nachgegangen war: den jüdischen Friedhof. Als ich auf die Aktion „Zeichen setzen“ angesprochen wurde, war ich beeindruckt, wie Schulen, Gemeinde und Bürger hier schon lange den Holocaust-Gedenktag gestalten. So beteiligte ich mich 2012 zur Vorbereitung der Ausstellung „Jüdisches Leben im Kraichgau“ bei der Erstellung einer Tafel über den Friedhof.

Quelle war für mich und alle Beteiligten das Buch von Willy Messmer, ein großer Schatz und unersetzliche Quelle. Kurz: Friedhof, dies Buch und das Engagement der letzten Jahre haben mich gepackt, und seither hänge ich am Thema fest. Dass ich eine Verantwortung und Verpflichtung dazu fühle, hat zwei Seiten: Durch die Begegnung mit Nachfahren der Malscher jüdischen Gemeinde wurde mir deutlich, wie begeistert sie sind, dass wir Ihnen jetzt einiges über ihre Ahnen erzählen und deren Häuser, Synagogen und Gräber zeigen können. Es ist für sie ein Zeichen, dass sie bei uns nicht völlig vergessen sind. Viele Alte erinnern sich noch an sie und haben sie oft auch vermisst. So bekamen die Besucher ein ganz anderes, positives Bild von Deutschland und ihrem Herkunftsort.

Fast noch stärker als den Nachkommen bin ich es aber mir selbst und unserm Land schuldig: Hier ist ein Teil unserer Geschichte, der sich über 700 Jahre zurückverfolgen lässt und fast vergessen ist. Das Motto lautet für mich also: „Sie waren ein Teil von uns“. Und sie bleiben es. Das möchte ich gemeinsam mit den Unterstützern der Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ dokumentieren und mithelfen, dass auch künftig Schüler und Erwachsene sich ihrer Herkunft stellen können.

Einer von uns war etwa Herbert Falk, 1931 hier geboren. Seine Mutter Karoline und deren Vater Moritz Oestreicher starben schon 1936; es sind die letzten Gräber hier. Der Opa war ein kleiner Viehhändler. 1933 entzogen die Nazis ihm den Gewerbeschein, so dass er von ein wenig Handel, einem Ackerstück und Hypotheken auf sein geringes Vermögen leben musste. Noch kurz vor seinem Tod sollte sein Inventar zwangs­versteigert werden, angesichts der Krankheit sah man davon ab. Als 1937 Herberts Tante Bertha nach USA emigrierte, wollte auch Oma Betty ihr folgen und besorgte bald die nötigen Papiere für sich, ihren Sohn Max und den Enkel Herbert. Herbert hatte sich nach dem Tod seiner Mutter ohnehin oft bei der Großmutter aufgehalten, drei Häuser nebenan; sein Vater Julius musste ja sehen, wie er etwas verdienen konnte. Dennoch machte er immer wieder kleine Unternehmungen mit seinem Sohn. Warum Julius nicht mit ausreisen wollte, ist uns noch unklar.

Manche Mitschüler dürften sich noch an Herbert erinnern, auch wenn er nur 1½ Jahre mit ihnen lernte und immer wieder vom Lehrer lächerlich gemacht und geschlagen wurde. Einen Monat nach der Kristallnacht, in der beide Wohnungen demoliert und geplündert worden waren, reisten sie per Schiff 3. Klasse nach Amerika. Herbert hat seine Altersgenossen nie wieder gesehen. Nur Willy Messmer besuchte ihn 1987 einmal in Amerika.

Durch Tobias Rachor, einen Ahnenforscher, der in Mingolsheim lebt und bei unserer Initiative mitarbeitet, kamen wir vor kurzem mit Herberts Tochter in Kontakt. Sie berichtete ihrem Vater von unserem Vorhaben und erhielt die gezeigten Fotos von ihm.

Das dunkelste Kapitel im Zusammenleben gipfelte in der Deportation vor genau 75 Jahren. Aufgrund der Landflucht gab es 1933 nur noch 14 jüdische Einwohner in Mingolsheim, hinzu kamen acht in Langenbrücken. Mindestens 5 von ihnen starben in den nächsten 4 Jahren, die meisten emigrierten. So lebten 1940 in Mingolsheim noch vier Personen, in Langenbrücken eine. Alle wurden deportiert und starben entweder im Lager in Südfrankreich oder wurden in Auschwitz ermordet. Wir wissen genau, wo ihre Häuser lagen. Dort, so unser Anliegen, sollen im Gehweg Stolpersteine verlegt werden, um namentlich an die früheren Mitbürger zu erinnern.

Stolpersteine sind Teil eines europaweiten Prozesses der Erinnerung und Mahnung. Sie vergegenwärtigen heute und zukünftig das gewaltsam beendete Zusammenleben mit einem Teil unserer Bevölkerung. Zum anderen wissen viele der Nachfahren von dieser Aktion. Sie warten darauf, dass auch für Ihre Familienmitglieder solche Steine verlegt werden, und scheuen keine Anreise, um dabei zu sein. Es ist für sie eine Möglichkeit zur persönlichen Versöhnung mit der Leidensgeschichte in ihrer Familie. Auch für die heute in diesen Häusern Lebenden ist das oft von großer Bedeutung, wie wir etwa in Bruchsal erlebt haben. Als wir für die BNN das Foto in der Leopoldstraße aufnahmen, hat die Eigentümerin übrigens bereits signalisiert, dass sie zumindest keine Einwände hat. Auch von Seiten der Vertreter des heutigen Judentums gibt es in Baden keine Einwände.

Für unsere Initiative ist es aber ein Anliegen, an die vertriebenen und ermordeten Mitbürger nicht nur mit einer kleinen Messingtafel zu erinnern. Ein gutes Werkzeug dafür ist unsere Homepage. Sie ist seit wenigen Wochen freigeschaltet und soll laufend erweitert werden. Schülern wie Erwachsenen bietet sie eine einfache Möglichkeit, sich genauer über diesen Aspekt der Ortsgeschichte zu informieren. Hoffentlich regt sie viele auch an, uns weiteres Material wie eigene oder Familienerinnerungen, Fotos, Briefe und Gegenstände zu überlassen. Auch die Aufstellung von Informationstafeln im Zuge eines Konzepts für Ortsrundgänge würden wir sehr begrüßen. Wünschenswert wäre, dass diese so groß sind, dass sie auch eine Reihe von Fotos enthalten. Vielleicht kann unsere Homepage überhaupt einmal Teil des Internetauftritts von Bad Schönborn oder jedenfalls damit verlinkt werden.

Eine ganze Reihe von Personen hat schon dokumentiert, dass sie den Gedanken auch in Bad Schönborn Stolpersteine zu verlegen, unterstützen. Wir sind sehr dankbar dafür. In vielen Orten im Landkreis gibt es sie ja bereits; im Frühjahr wird auch Odenheim folgen. Nicht wenige Unterstützer haben ungefragt auch ihre finanziellen Beteiligung in Aussicht gestellt zu den Kosten von 120 € je Stück.

In Zukunft könnte in ähnlicher Weise an weitere Opfer der NS-Herrschaft erinnert werden, etwa Behinderte oder Sinti. Auch lebte eine größere Zahl von in Mingolsheim und Langebrücken Geborene in anderen Orten und wurde von dort aus deportiert und ermordet. Gehwege sind ja Eigentum der Kommune. Darum bitten wir den Gemeinderat herzlich, der Verlegung von Stolpersteinen in Bad Schönborn zuzustimmen und sich das Anliegen zu eigen zu machen!

Bildquelle: Screenshot der gezeigten Folien (von Felix Harling erstellt)

Herbert Falk

Herbert Falk musste als siebenjähriger Junge seine Heimat Mingolsheim verlassen. Gemeinsam mit seinem Onkel und seiner Großmutter floh er vor dem Naziregime und seinen Unterstützern. Seinen Vater Julius hat er nie wieder gesehen. Sein Vater wurde im KZ Auschwitz ermordet. Julius Falk gehörte zu den fünf Bürgern, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.

Herbert Falk ist heute 84 Jahre alt und lebt bei Chicago in den USA. Er ist einer der letzten Zeitzeugen der Gewaltherrschaft der Nazis in Mingolsheim und Langenbrücken. Er hat uns seine Lebensgeschichte erzählt (Biographie Herbert Falk).

Die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ möchte an die Menschen erinnern. Dadurch geben wir ihnen ihre Identität und ihre Würde zurück. Deshalb erzählen wir die Geschichte und die Schicksale der Personen, die hinter den Namen stehen. Durch die Gewaltherrschaft der Nazis wurde ihnen Besitz, Heimat, Leben und selbst ihr Name geraubt.

Stolpersteine sind Gedenktafeln. Sie werden in den Boden des Gehwegs eingelassen. Sie sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert oder ermordet wurden (Opfergruppen).

Diese Steine werden in der Regel vor dem letzten frei gewählten Wohnhaus verlegt und dienen als öffentlich sichtbares Erinnerungszeichen. Indem sie folgenschwere Ereignisse der Vergangenheit im Bewusstsein bewahren, spielen sie eine wichtige Rolle für unser gemeinsames Gedächtnis. Sie sind Teil einer lebendig gehaltenen Ortsgeschichte.

Außerdem verbinden wir mit dieser Form des Gedenkens auch die Hoffnung, eine neue Brücke zu den Nachfahren dieser Menschen zu bauen. Denn viele von ihnen, in zahllosen Ländern der Erde warten auf solche Zeichen. Oft legen sie sogar sehr weite Wege zurück, um persönlich bei der Verlegung von Stolpersteinen anwesend zu sein.

Wir freuen uns auf zahlreiche Unterstützer. Wir werden auf diesen Seiten die Ergebnisse unserer Nachforschungen veröffentlichen. Ebenso auf <a href=“https://stolpersteine-badschoenborn.de/wordpress/veranstaltungen/“>interessante Veranstaltungen und Quellen aufmerksam machen. Dafür sind wir auch auf Ihre Mitarbeit angewiesen.

Schreiben und kontaktieren Sie uns!

Die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ wird z.Z. von folgenden Einwohner*innen aufgebaut:

  • Sprecher: Hans-Georg Schmitz (Mingolsheim)
  • Stellvertretende Sprecherin: Angelika Messmer (Mingolsheim)
  • Stammbaum-Recherche und internationale Zusammenarbeit: Tobias Rachor (Mingolsheim)
  • Öffentlichkeitsarbeit: Felix Harling (Langenbrücken)