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Reichspogromnacht: Zachor! Erinnere Dich!

Historische Ereignisse in Bad Schönborn

Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938

"Holocaust" - Bild von Liane Holl (Ausstellung von Januar bis März 2016 im Verdi-Haus Karlsruhe)
„Holocaust“ – Bild von Liane Holl (Ausstellung von Januar bis März 2016 im Verdi-Haus Karlsruhe)

Es war in der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938, als Juden in Deutschland von einem Pogrom heimgesucht wurden, dass in seinem fürchterlichen Ausmaß jedem Deutschen zeigte, welchen Weg die Juden in Deutschland und später auch in den von Deutschen besetzten Gebieten, noch gehen würden. Mit der Reichspogromnacht begann im gesamten Reich die heiße Phase der Judenverfolgung, welche nur noch durch die am 20.01.1942 auf der Wannseekonferenz beschlossene Endlösung – der totalen Vernichtung und Ausrottung der Juden- übertroffen wurde.

Durch das von Partei und Reichsregierung angeordnete Pogrom am 09. November, gingen im ganzen Land Synagogen in Flammen auf. Jüdische Geschäfte und Wohnhäuser wurden geplündert und zerstört. Viele Juden starben an den brutalen Misshandlungen, oder begingen in ihrer Verzweiflung Selbstmord. Tausende meist männliche Juden wurden verhaftet und in die KZ Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen gebracht.

Diese „Aktion“ gegen die jüdische Bevölkerung mit der vorübergehenden Inhaftierung, war von Heydrich höchstpersönlich angeordnet mit dem Ziel, die Familien unter Druck zu setzen, um deren Auswanderung zu beschleunigen und die Enteignung und Arisierung des Besitzes voranzutreiben. Dafür mussten bereits im April 1938 alle jüdischen Bürger das sogenannte „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ ausfüllen und beim Bürgermeisteramt abgeben. Es beinhaltete neben Bargeld, Grundstücken und Häusern auch das gesamte Inventar nebst beweglichem lebendem Inventar. Dieses Verzeichnis diente einzig und allein dafür, „feindliches“ jüdisches Vermögen zu enteignen und zu arisieren (anderes Wort für stehlen).

Die Pogromnacht in Mingolsheim

In der Pogromnacht versuchten fünf SA-Leute die Synagoge in der Friedrichstraße mit Benzin zu übergießen und anzuzünden, als ein Mann aus der Nachbarschaft der zufällig vorbei kam, den SA –Leuten erklärte, dass sich die Synagoge seit April in Privatbesitz befinde. Durch diesen Zufall wurde die Synagoge von der Zerstörung gerettet. Die SA- Leute zogen weiter zum Haus von Max Östreicher in der Leopoldstraße 3. Sie drangen in sein Haus ein und schlugen die Inneneinrichtung kurz und klein. Max Östreicher wurde verhaftet und saß vom 11.11 bis 20.11.1938 im
KZ Dachau. Nach seiner Entlassung aus dem KZ Dachau sah er sich gezwungen, zusammen mit seiner Mutter Betty Östreicher und seinem Neffen Herbert Falk, seine Heimat Mingolsheim zu verlassen, um in die USA auszuwandern. Dafür hatte Betty Östreicher das Haus mit Scheune und Stallungen, sowie einige Feldgrundstücke verkaufen müssen.

Julius Falk, der Vater von Herbert Falk und Schwager von Max Östreicher, wurde ebenfalls in der Pogromnacht verhaftet und ins KZ Dachau verbracht. Nach seiner Entlassung aus dem KZ Dachau kehrte Julius Falk wieder nach Mingolsheim in die Leopoldstraße 11 zurück. Er lebte dort mit seiner 2. Ehefrau Emma und seiner Schwester Elsa Falk. Julius und Emma verfügten nicht über die finanziellen Mittel, um ebenfalls nach Amerika zu emigrieren.

Die Pogromnacht in unserer näheren Heimat Bruchsal

Für die Durchführung des Pogroms in Bruchsal wurden u.a. auch Mitglieder der Mingolsheimer Reiter-SA herangezogen. Durch das Gleichschaltungsgesetz von 1933 wurden Angehörige des Reitervereins, ob sie wollten oder nicht, automatisch Mitglied in der Reiter-SA. Ein Mitglied, der am Novemberpogrom in Bruchsal beteiligt war sagte später dazu: „Das war grobes Unrecht. Wenn wir das je büßen müssen.“

In Bruchsal ging die Synagoge in Flammen auf und wurde vollkommen zerstört. Viele jüdische Geschäfte wurden zerstört, geplündert. Jüdische Mitbürger körperlich schwer misshandelt und verschleppt. Eine Jüdin aus Bruchsal hatte deshalb jegliche Hoffnung verloren und wählte den Freitod.

Prof. Ludwig Marx (1891-1964) war bis zu seiner Zwangsentlassung Lehrer am humanistischen Gymnasium (heute Schönborngymnasium) in Bruchsal und danach Lehrer an der jüdischen Schule in der Markgrafenstraße in Karlsruhe. In einem seiner Gedichte hat er über die Novembernacht Folgendes geschrieben:

Pogrom
Sie haben uns ihre Häscher gesandt,
sie haben unsere Tempel zerstört,
sie haben die heiligen Bücher verbrannt,
sie haben unsere Häuser verheert.
Sie haben uns zu Gefang`nen gemacht,
sie haben nicht vor dem Tode gebebt,
wir sagen Kaddisch in jener Nacht-
sie morden den Leib, unsere Seele lebt.
(Prof. Dr. Ludwig Marx 1891-1964)

Für die Initiative Stolpersteine für Bad Schönborn: Angelika Messmer

Quellen:
Willy Messmer: Wir müssen jeden Tag sprechen..
Die Reichspogromnacht und die Gedenkfeiern im Rückblick. Verlag Jugendwerkstatt Östringen e.V. 1990.

Erinnerung an jüdische Mitbürger

Karin Stenftennagel von der BNN Bruchsaler Rundschau fasst in einem Artikel die Gründung unserer Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ auf der Grundlage eines Vor-Ort-Termins in Mingolsheim zusammen. Besten Dank an die BNN!

Quelle: BNN - Bruchsaler Rundschau vom 07.11.2015 Seite 23
Quelle: BNN – Bruchsaler Rundschau vom 07.11.2015 Seite 23

Redaktionsleiter Daniel Streib erinnert in seinen „Randnotizen“ heute auch an den 9. November 1938. Er sehe die Stolpersteine auch als „allgemeingültige Mahnung und Warnung vor Intoleranz und was aus ihr entstehen kann“.

Quelle: BNN Bruchsaler Rundschau vom 07.11.2015 Seite 23
Quelle: BNN Bruchsaler Rundschau vom 07.11.2015 Seite 23

Die Deportation der letzten fünf jüdischen Mitbürger am 22.10.1940

Historische Ereignisse in Bad Schönborn vor 75 Jahren am 22. Oktober 1940

Die Deportation der badischen Juden nach Gurs und von dort in das Vernichtungslager Auschwitz war eine von Gauleiter Robert Wagner geplante, streng geheim gehaltene und von der Polizei mit deutscher Gründlichkeit durchgeführte Blitzaktion. Durch einen Erlass des badischen Innenministeriums in Karlsruhe vom 01.10.1935 und der Rundverfügung des Bezirksamtes Bruchsal waren die Gemeindeverwaltungen verpflichtet eine Judenkartei anzulegen, in der vierteljährlich über die Zu- und Abzüge der ortsansässigen Juden berichtet werden musste. Dadurch wusste man genauestens über die Anzahl der Juden in den einzelnen Landgemeinden und Städten Bescheid, sodass die Deportationen vom 22.10.1940 reibungslos durchgeführt werden konnten.

Am Morgen des 22.10.1940 wurden innerhalb weniger Stunden sämtliche ortsanwesende, transportfähige Juden zu zentralen Sammelstellen – in Mingolsheim war das der Marktplatz- gebracht. Von Bruchsal aus wurden sie nach Frankreich abgeschoben. Den betroffenen Bürgern blieb oft weniger als eine Stunde. Mit höchstens 50 Kilogramm Gepäck, 100 Mark Bargeld fuhren 6.504 badische Arbeiter und Angestellte, Professoren und Dichter, Viehhändler und Hausfrauen, Mütter, Väter, Brüder, Schwestern und Kinder ins Ungewisse.

Die deportierten jüdischen Mitbürger aus Mingolsheim und Langenbrücken waren:

  • Julius Falk und seine zweite Ehefrau Emma Falk, wohnhaft in der Leopoldstraße 11
  • Elsa Falk, die Schwester von Julius Falk, wohnhaft in der Leopoldstraße 11
  • Franziska Moses, 2. Ehefrau und Wittwe von Abraham Moses, wohnhaft in der Bruchsaler Straße 11
  • Selma Isaac, wohnhaft in der Dammstraße 2 in Langenbrücken.

Die Deportation der letzten jüdischen Mitbürger aus unserer Gemeinde verlief laut Augenzeugenberichte Folgendermaßen:

„Vor dem Rathaus stand ein Lastwagen, auf dem jüdische Männer und Frauen saßen, unter ihnen Franziska Moses und Julius Falk. Diesen musste ich ihre Papiere aushändigen… An diesem Morgen lief Franziska Moses ganz verzweifelt und laut weinend die Friedrichstraße hinauf und rief: “ich hab doch niemand was Böses getan und war zu allen gut- warum muss ich denn fort?“

Ein weiterer Augenzeuge berichtete, dass die Ehefrau des damaligen Ortsbauernführeres beim Abtransport der letzten jüdischen Mitbürger laut Beifall klatschte und die Stellungnahme des damaligen Ortsgeistlichen zum „Judenabschub“ lautete: “Die Deportierung der Juden ist die Strafe dafür, dass Sie sich nicht bekehren wollen.

Nachdem sie auf den am Marktplatz bereitstehenden Lastwagen verbracht wurden, ging die Fahrt zum Bruchsaler Bahnhof. Von dort fuhr der Zug ins Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen.

Die Deportierten kamen zunächst ins Lager Gurs und später in weitere Außen-Lager wie Noé und Récébédou in Südfrankreich. Hunger und Kälte und die unbeschreiblich schlechten sanitären Verhältnisse forderten bereits dort zahlreiche Opfer unter den Kranken und Hochbetagten. Eine weitere Zeitzeugin, die aus dem Lagerleben in Gurs berichten konnte, ist Emilie Baumann aus Eppingen, die in den 60iger und 70iger Jahren in Mingolsheim wohnhaft war. Emilie selbst war in Gurs interniert und erlebte die Ankunft der badischen Juden in Gurs mit. Sofort kümmerte Sie sich als ausgebildete Kinderkrankenschwester zusammen mit dem aus Karlsruhe stammenden jüdischen Kinderarzt Dr. Behrens um die Kinder. Aus ihren Erzählungen ist u.a. Folgendes vom Lagerleben überliefert:

“Ich schlief mit den Kindern in der Kinderbaracke auf dem Fußboden, es gab zu wenig Decken geschweige denn Matratzen, nur Strohsäcke. Wir schliefen immer mit den Armen über dem Kopf verschränkt, um unser Gesicht vor den Ratten zu schützen, die nachts über uns hinwegliefen.“

Von den aus Mingolsheim stammenden Juden kamen Elsa Falk und Franziska Moses als Internierte in Frankreich um:

  • Elsa Falk, die Schwester von Julius Falk kam am 30.06.1942 im Lager Récébédou um.
  • Franziska Moses kam 1943 im Lager Noé um.

Selma Isaac aus Langenbrücken wurde im August 1942 ins Durchgangslager Drancy nahe Paris gebracht und von dort aus wenige Tage danach, mit dem Konvoi Nr. 18 nach Auschwitz deportiert und sofort nach der Ankunft am 12.08.1942 vergast.

Emma Falk die zweite Ehefrau von Julius Falk verließ Drancy am 02.09.1942 mit dem Transport Nr. 27 nach Auschwitz und wurde sofort nach der Ankunft ermordet.

Julius Falk, der Vater von Herbert Falk wurde mit dem Konvoi Nr. 19 nach Auschwitz gebracht und vergast.

Die restlichen Geschwister von Julius Falk aus Östringen stammend, Berthold und Hilde Falk erlitten das gleiche Schicksal wie Julius und Elsa. Sie wurden von Frankfurt/Main aus ins Ghetto Lodz/Polen deportiert und sind dort vermutlich 1941/1942 gestorben oder im Vernichtungslager Chelmno vergast worden.

Nach der „Judensonderaktion“ vom 22.10.1940 konnte der Gauleiter Robert Wagner seinem Führer ein „judenfreies Baden“ präsentieren. Die Gendarmerie- und Polizeiposten der Gemeinden meldeten eine ordnungsgemäße Durchführung der Juden-Sonderaktion ohne besondere Vorfälle.

Bereits vier Wochen später, nämlich am 21.11.1940 wurde das „feindliche jüdische“ Vermögen des Julius „Israel“ Falk zur Versteigerung freigegeben und bis März 1941 hatte der gesamte Besitz den Besitzer gewechselt. Bis April 1941 war auch die Versteigerung des Vermögens der Familie Moses abgewickelt. Man rechnete offenbar auch in Mingolsheim nicht mehr mit der Rückkehr der rechtmäßigen Besitzer.

„Die Wahrheit aushalten
Das Höchste, was man erreichen kann,
ist zu wissen und auszuhalten,
dass es so und nicht anders gewesen ist,
und dann zu sehen,
was sich daraus – für heute – ergibt.
Hannah Arendt

Für die Initiative Stolpersteine für Bad Schönborn: Angelika Messmer

Literatur:
Willy Messmer, Juden unserer Heimat. (1986).
Willy Messmer, Judenschicksale in Bad Schönborn-Mingolsheim, im Jahrbuch des Landkreises Karlsruhe 1988.

Herbert Falk

Herbert Falk musste als siebenjähriger Junge seine Heimat Mingolsheim verlassen. Gemeinsam mit seinem Onkel und seiner Großmutter floh er vor dem Naziregime und seinen Unterstützern. Seinen Vater Julius hat er nie wieder gesehen. Sein Vater wurde im KZ Auschwitz ermordet. Julius Falk gehörte zu den fünf Bürgern, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.

Herbert Falk ist heute 84 Jahre alt und lebt bei Chicago in den USA. Er ist einer der letzten Zeitzeugen der Gewaltherrschaft der Nazis in Mingolsheim und Langenbrücken. Er hat uns seine Lebensgeschichte erzählt (Biographie Herbert Falk).

Die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ möchte an die Menschen erinnern. Dadurch geben wir ihnen ihre Identität und ihre Würde zurück. Deshalb erzählen wir die Geschichte und die Schicksale der Personen, die hinter den Namen stehen. Durch die Gewaltherrschaft der Nazis wurde ihnen Besitz, Heimat, Leben und selbst ihr Name geraubt.

Stolpersteine sind Gedenktafeln. Sie werden in den Boden des Gehwegs eingelassen. Sie sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert oder ermordet wurden (Opfergruppen).

Diese Steine werden in der Regel vor dem letzten frei gewählten Wohnhaus verlegt und dienen als öffentlich sichtbares Erinnerungszeichen. Indem sie folgenschwere Ereignisse der Vergangenheit im Bewusstsein bewahren, spielen sie eine wichtige Rolle für unser gemeinsames Gedächtnis. Sie sind Teil einer lebendig gehaltenen Ortsgeschichte.

Außerdem verbinden wir mit dieser Form des Gedenkens auch die Hoffnung, eine neue Brücke zu den Nachfahren dieser Menschen zu bauen. Denn viele von ihnen, in zahllosen Ländern der Erde warten auf solche Zeichen. Oft legen sie sogar sehr weite Wege zurück, um persönlich bei der Verlegung von Stolpersteinen anwesend zu sein.

Wir freuen uns auf zahlreiche Unterstützer. Wir werden auf diesen Seiten die Ergebnisse unserer Nachforschungen veröffentlichen. Ebenso auf <a href=“https://stolpersteine-badschoenborn.de/wordpress/veranstaltungen/“>interessante Veranstaltungen und Quellen aufmerksam machen. Dafür sind wir auch auf Ihre Mitarbeit angewiesen.

Schreiben und kontaktieren Sie uns!

Die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ wird z.Z. von folgenden Einwohner*innen aufgebaut:

  • Sprecher: Hans-Georg Schmitz (Mingolsheim)
  • Stellvertretende Sprecherin: Angelika Messmer (Mingolsheim)
  • Stammbaum-Recherche und internationale Zusammenarbeit: Tobias Rachor (Mingolsheim)
  • Öffentlichkeitsarbeit: Felix Harling (Langenbrücken)