Nie wieder ist jetzt!

Die Reichspogrome im Jahr 1938 waren vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im Deutschen Reich. In Mingolsheim beschädigten in der Nacht vom 9. auf den 10. November auswärtige SA-Mitglieder und örtliche Nazis die Wohnungen der jüdischen Familien Falk und Östreicher. Zur Erinnerung an an die Pogromnacht  möchten wir den Opfern des Nationalsozialismus gedenken und die Stolpersteine in Bad Schönborn reinigen.

Denn das jüdische Leben ist heute mehr denn je bedroht. Jeder von uns sollte sich gegen Bedrohungen und Gewalt gegenüber unseren Mitmenschen erheben. Unsere jüdischen Mitbürger*innen, Freund*innen und Nachbar*innen sollen sich in Deutschland sicher fühlen.

Nie war es wichtiger  ein Zeichen setzen – für jüdisches Leben in Deutschland, für Zusammenhalt und gegen Rassismus sowie Ausgrenzung. „Nie wieder“ ist jetzt!

Treffpunkt ist am 9. November 2023 um 16 Uhr vor der Leopoldstraße 11 in Mingolsheim. Von dort aus laufen wir zur Bruchsaler Straße 11 in Mingolsheim.

Im Morgengrauen

Die „Aktion Zeichen Setzen“ und die Gemeinde Bad Schönborn begehen diesen traurigen 80. Jahrestag am Donnerstag, 22. Oktober 2020, um 7.15 Uhr. Treffpunkt ist „im Morgengrauen“ an der ehemaligen Synagoge in der Friedrichstraße im Ortsteil Mingolsheim.

Friedhofsführung

Am Freitag, 7. September, um 18.00 Uhr wird eingeladen zur nächsten Führung auf dem hiesigen jüdischen Friedhof, Zugang von der Konradin-Kreutzer-Straße. Männer müssen eine Kopfbedeckung tragen.

Herbert Falk gestorben

Herbert Falk (1931-2018)

Am 23. Juni verstarb Herbert Falk im Alter von 87 Jahren in den USA, wie seine Tochter der Stolpersteine-Initiative mitteilte. Er war der letzte Lebende aus der früheren jüdischen Gemeinde Mingolsheim.

Herbert Falk wurde hier geboren als Sohn von Julius Falk und Karolina Oestreicher. An seine frühe Kindheit in der Leopoldstraße 11 hatte er nur noch wenige Erinnerungen. Als er fünf Jahre alt war, verstarb seine Mutter; danach kümmerte sich besonders seine Großmutter Betty Oestreicher aus der Leopoldstraße 3 um ihn. Gern dachte Herbert daran zurück, wie sein Vater mit ihm zum Schwefelbad ging und ihn anschließend zu einer Kleinigkeit ins Restaurant mitnahm. Auch die Namen einiger Mitschüler aus der ersten und zweiten Klasse kannte er noch. Von seinem Lehrer Ludwig Springer blieb Herbert im Gedächtnis, dass er ihn einmal ins Gesicht schlug, weil er ihn nicht mit „Heil Hitler“ gegrüßt hatte.

In der „Kristallnacht“ wurde die elterliche Wohnung von SA-Horden verwüstet, als sie die inzwischen verkaufte Synagoge nicht anzünden konnten. In ihrem Haus gab es allerdings so gut wie nichts, das sie noch plündern konnten. Einen Monat darauf, im Dezember 1938 emigrierten die Großmutter und ihr Sohn Max nach Amerika. Bereits im August hatten sie Pässe und das Einreisevisum erhalten, denn Tochter Bertha Oestreicher (1906-1993) war schon 1933 endgültig ausgewandert nach Chicago; dort hatte sie eine Familie gegründet. Seine Oma und der Onkel nahmen Herbert mit in die Vereinigten Staaten; sein Vater Julius Falk jedoch hatte keine Aussicht auf Ausreisepapiere. Bei der Überfahrt war Herbert sehr beeindruckt, dass es auf der MS Europa ein großes Spielzimmer gab, in dem er mit anderen Kindern spielen konnte. Die drei lebten dann in der Gegend von Chicago auf einem Milchbauernhof, wo Max eine einfache Arbeit fand und auch die Großmutter mithalf. Vater Julius Falk war gerade rechtzeitig aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen worden, um sich von seinem Sohn zu verabschieden. Es gibt danach noch einen Brief vom Mai 1939, in dem der Vater die Hoffnung ausdrückte, es wäre zu Herberts Bestem, dass er ihn habe nach Amerika gehen lassen, so schwer ihm selbst das auch gefallen sei. Weil dies das letzte Lebenszeichen von Julius Falk war, kam die Familie zum Schluss, er müsse im Lager verstorben sein. Herbert war damals zu jung, um weiter über das Schicksal des Vaters und anderer Verwandter nachzudenken. Erst viel später erfuhr er von der Deportation aller badischen Juden nach Gurs und von der Ermordung seines Vaters und dessen Geschwistern in Auschwitz.

Nach dem Tod der Großmutter 1943 wuchs Herbert zehn Jahre lang beim Onkel Max Oestreicher auf. Nach der Militärzeit und mit Erfahrung auf verschiedenen Arbeitsfeldern eröffnete Herbert schließlich seine eigene Firma, die Fenster und Sturmtüren einbaute; später installierte und reparierte er ausschließlich Garagentore. Herb’s Door Service wurde ein erfolgreiches Geschäft in der Region; das heute von einem Sohn weitergeführt wird. Herbert Falks Kontakt zu Mingolsheim ist nie ganz abgebrochen. Emma Willhauck-Weickgenannt, Ehefrau von Bürgermeister Josef Willhauck, war eine Jugendfreundin seiner Tante Bertha Oestreicher und hatte all die Jahre Briefkontakt gepflegt. So besuchte Herbert mit seiner Ehefrau 1977 zum ersten Mal wieder den Ort seiner Kindheit und das Grab der Mutter und des Großvaters, die zu den letzten Bestattungen auf dem hiesigen jüdischen Friedhof gehören. Weitere Besuche in Mingolsheim folgten. Gemeinsam mit ihren Kindern besuchte Dr. Martina Willhauck-Fleckenstein, Enkelin des früheren Bürgermeisters und Tochter von Herberts Klassenkamerad Ernst Willhauck, Herbert zu seinem 85. Geburtstag vor zwei Jahren.

Da hatte auch die Stolpersteine-Initiative Bad Schönborn ihre Arbeit aufgenommen, und es war für Herbert Falk sehr bewegend zu erfahren, dass eine Initiative in seiner alten Heimat sich für ein Erinnerungszeichen für seine Familie einsetzt. Manche Einzelheiten und vor allem die Fotos in der Stolpersteine-Broschüre wären ohne seine Mithilfe für uns nicht zugänglich gewesen. Sogar finanziell hat er die Stolperstein-Initiative unterstützt. Bei der Verlegung der Steine im Juni 2017 war Herbert Falk leider bereits zu schwach und pflegebedürftig, um noch einmal die Reise hierher auf sich zu nehmen; er konnte nur mit einem Grußwort bei uns sein. In den letzten Monaten verschlechterte sich sein Gesundheitszustand immer weiter; doch bis auf die letzten zehn Tage war es ihm vergönnt in seinem Haus zu bleiben.

Seine Tochter schrieb, er sei im Kreise der Angehörigen ganz in Frieden entschlafen. Neben seiner Frau Claire trauern zwei Töchter, zwei Söhne, vier Enkelkinder und vier Urenkel um ihn. Bad Schönborn hat mit Herbert Falk einen früheren Bürger und wichtigen Zeitzeugen verloren. Trotz des entsetzlichen Unrechts, das ihm und seiner Familie geschah, wurde er uns zu einem Freund und schenkte uns mehr Vertrauen, als ihm und seinen Vorfahren von unseren Mitbürgern entgegengebracht worden war. Die Stolpersteine und Berichte werden das Andenken an ihn und seine Familie bei uns lebendig erhalten.

Für die Stolpersteine-Initiative Hans-Georg Schmitz

Neues von Julius Falk

Im Zuge der Verlegung von Stolpersteinen in Malsch im Februar 2018 kam auch manches Neue über die aus Bad Schönborn Deportierten ans Licht. Unter den aus Malsch ins Lager Gurs Verschleppten waren zwei Kinder; beide wurden durch die Initiative ausländischer Hilfsorganisationen aus dem Lager in ein Kinderheim gebracht. Auf verschiedenen Wegen überstanden sie die Nazizeit, und beide leben heute noch in den USA.

Die Ältere, ein Jahr vor Herbert geboren, hatte im Heim viele Briefe von ihren Eltern und anderen im Lager bekommen. Diese hütet sie bis heute und stellte sie gern für unsere Forschungsarbeit zur Verfügung. Sie sind eine hervorragende Geschichtsquelle, weil viele Dutzend Personen darin genannt werden, die auch in Gurs lebten. Wir erfahren, wer von dort in andere Lager und teils wieder zurück gebracht wurde, wer auf die Ausreise nach Amerika hoffte oder gar zum Schiff nach Marseille fahren durfte. Besonders interessant für uns ist eine Geldsammlung zugunsten der Internierten. Viele Angehörige der weit verzweigten Malscher Familie Hess waren während oder kurz vor der NS-Zeit nach Amerika ausgewandert. Nun hatten sie von der schrecklichen Mangelernährung im Lager erfahren, wo auch die einfachsten sanitären Dinge fehlten, ebenso Papier und Stifte um Kontakt halten zu können. Daraufhin legten sie zusammen und schickten das Geld nach Gurs, wo es unter alle aus der jüdischen Gemeinde Malsch verteilt werden sollte.

Dabei werden ausdrücklich Herberts Vater Julius Falk und die anderen aus Mingolsheim sowie Langenbrücken genannt: Weil nach dem ersten Weltkrieg in diesen Orten die Zahl zu klein geworden war für eigene Gottesdienste in der hiesigen Synagoge, betrachteten die Malscher sie inzwischen als selbstverständlichen Teil ihrer Gemeinde. Das Geld bedeutete für die Empfänger eine wesentliche Hilfe. Julius Falk spielt in den Erinnerungen dieser Zeitzeugin noch eine besondere Rolle. Die beiden verbliebenen jüdischen Geschäfte in Malsch wurden in der „Kristallnacht“ völlig verwüstet und ausgeplündert; danach durften sie nicht wieder öffnen. So gab es für ihre Eltern und Großeltern keinerlei Einkommen mehr aus ihrem bis dahin allseits beliebten Textilgeschäft, allgemein „Stoff-Herzl“ genannt. Darum fuhr ihr Vater nun mehrfach die Woche mit dem Fahrrad hinüber nach Mingolsheim, um Julius Falk in seiner kleinen Landwirtschaft etwas zu helfen und dabei wenige Groschen zu verdienen.

Wenn Julius in seinem Brief nach Amerika schrieb, er könne hier einigermaßen leben von der Milch seiner Kühe und den ererbten Äckern, war das also nicht frei erfunden. Offenbar ließen ihn die Nazis noch etwas beitragen zur Ernährung des Reichs, bis er im Oktober 1940 unverhofft abgeholt wurde. Als man Anfang 1941 seinen gesamten Besitz öffentlich versteigerte, waren auch die beiden Kühe darunter. Die Stolpersteine-Initiative und der Arbeitskreis Heimatgeschichte freuen sich weiterhin über erhaltene Dokumente aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, seien es Fotos, Zeitungsausschnitte oder so unscheinbare Dinge wie Rechnungen und Quittungen.

Anschriften finden Sie unter „Initiative“, dann „Mitarbeiten“. Natürlich erhalten sie alles, was Sie zur Verfügung stellen, auch gern wieder zurück.

Am Freitag, 7. September, um 18.00 Uhr wird eingeladen zur nächsten Führung auf dem hiesigen jüdischen Friedhof, Zugang von der Konradin-Kreutzer-Straße. Männer müssen eine Kopfbedeckung tragen.

Hans-Georg Schmitz

Gedenken für die Opfer des Nazi-Regimes in Mingolsheim und Langenbrücken