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Stolpersteine sollen an die Opfer erinnern

Bericht in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 26. November 2015

Besten Dank an Eike Schmidt-Lange, der ihn verfasst hat!

Bad Schönborn/Malsch (sl). Eine Bürgerinitiative will auch in Bad Schönborn die Gemeinde anregen, Stolpersteine gegen das Vergessen misshandelter jüdischer Bürger und Bürgerinnen verlegen zu lassen. Schon vor gut zwei Jahren hat die jetzt prämierte Aktionsgemeinschaft „Zeichen setzen“ durch eine Ausstellung insbesondere auf die letzten fünf jüdischen Einwohner von Mingolsheim und Langenbrücken hingewiesen.

Julius Falk, seine Schwester Elsa Falk und seine Frau Emma Falk sowie Franziska Moses und Selma Isaac wurden am 20. Oktober 1940 gezwungen, mit wenig Gepäck beim Rathaus Mingolsheim auf einen Lastwagen zu steigen, bevor man sie per Bahn ins südfranzösische Gurs verschleppte. Die ersten vier Genannten wurden rund zwei Jahre später in Auschwitz ermordet, während die Langenbrückenerin Selma Isaac im Lager Noé in Südfrankreich verstarb.

Weitere Fakten sind seit kurzem im Internet nachzulesen (www.stolpersteine-badschoenborn.de). Zu der forschenden Initiativgruppe gehört die Bad Schönborner Gemeinderätin Angelika Messmer, deren Vater bereits seit 1986 Schriften über die Juden von Malsch, Bad Schönborn und anderen Orten verfasst hat. Sie will diese Arbeit fortsetzen und trug zusammen mit Teamkollegen weitere Daten aus der Lebensgeschichte nicht nur der verschleppten Juden des Ortes zusammen.

Pfarrer Hans-Georg Schmitz aus Mingolsheim, früher Wiesloch, wünscht sich, dass sich weitere kundige Menschen finden, die wie in Malsch Auskunft geben können über frühere jüdische Einwohner. So hätten ihn kürzlich Bürger aus Malschs Nachbarorten informiert, dass man damals die jüdischen Händler aus Malsch gut gekannt und nach ihnen den Weg von Malschenberg hinunter nach Rauenberg den „Judenbuckel“ genannt habe.

Als Mitinitiator der Gruppe freut sich Gemeinderat Felix Harling, dass auch ein Kenner der Familienforschung dazugestoßen ist. Tobias Rachor ist einer der vier deutschen Kuratoren der internationalen Genealogieseite geni.com. Seine dort eingegliederte Datenbank umfasst inzwischen 225.000 Profile, also Informationen, die zum Ergänzen von Millionen von Stammbäumen beitragen. „Ich will mithelfen, dass die Millionen Opfer nicht nur eine anonyme Masse bleiben – sondern Menschen mit Namen und eigenen Biografien“, kommentierte er sein weltweites Engagement.

Pfarrer Schmitz bekräftigte, dass die Lebensläufe im Blick auf die geplanten Stolpersteine genug dokumentiert sind. Jetzt liege es an der Gemeinde. Ein Antrag auf Genehmigung der fünf Stolpersteine wird in diesen Tagen im Bad Schönborner Rathaus beraten.

Präsentation der Initiative für Gemeinderäte

Hans-Georg Schmitz hat auf Einladung von Bürgermeister Klaus-Detlev Huge die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ vor Gemeinderäten in Bad Schönborn vorgestellt.

Präsentation Initiative

Ich danke Ihnen für die Einladung! Ich bin Hans-Georg Schmitz und Pfarrer im Ruhestand. Wie kommt ein Neubürger – seit 4 Jahren jetzt in Bad Schönborn – dazu sich mit der hiesigen Ortsgeschichte zu befassen? Seit 30 Jahren staune ich über ein historisches Kleinod in Mingolsheim, dem ich bisher nie weiter nachgegangen war: den jüdischen Friedhof. Als ich auf die Aktion „Zeichen setzen“ angesprochen wurde, war ich beeindruckt, wie Schulen, Gemeinde und Bürger hier schon lange den Holocaust-Gedenktag gestalten. So beteiligte ich mich 2012 zur Vorbereitung der Ausstellung „Jüdisches Leben im Kraichgau“ bei der Erstellung einer Tafel über den Friedhof.

Quelle war für mich und alle Beteiligten das Buch von Willy Messmer, ein großer Schatz und unersetzliche Quelle. Kurz: Friedhof, dies Buch und das Engagement der letzten Jahre haben mich gepackt, und seither hänge ich am Thema fest. Dass ich eine Verantwortung und Verpflichtung dazu fühle, hat zwei Seiten: Durch die Begegnung mit Nachfahren der Malscher jüdischen Gemeinde wurde mir deutlich, wie begeistert sie sind, dass wir Ihnen jetzt einiges über ihre Ahnen erzählen und deren Häuser, Synagogen und Gräber zeigen können. Es ist für sie ein Zeichen, dass sie bei uns nicht völlig vergessen sind. Viele Alte erinnern sich noch an sie und haben sie oft auch vermisst. So bekamen die Besucher ein ganz anderes, positives Bild von Deutschland und ihrem Herkunftsort.

Fast noch stärker als den Nachkommen bin ich es aber mir selbst und unserm Land schuldig: Hier ist ein Teil unserer Geschichte, der sich über 700 Jahre zurückverfolgen lässt und fast vergessen ist. Das Motto lautet für mich also: „Sie waren ein Teil von uns“. Und sie bleiben es. Das möchte ich gemeinsam mit den Unterstützern der Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ dokumentieren und mithelfen, dass auch künftig Schüler und Erwachsene sich ihrer Herkunft stellen können.

Einer von uns war etwa Herbert Falk, 1931 hier geboren. Seine Mutter Karoline und deren Vater Moritz Oestreicher starben schon 1936; es sind die letzten Gräber hier. Der Opa war ein kleiner Viehhändler. 1933 entzogen die Nazis ihm den Gewerbeschein, so dass er von ein wenig Handel, einem Ackerstück und Hypotheken auf sein geringes Vermögen leben musste. Noch kurz vor seinem Tod sollte sein Inventar zwangs­versteigert werden, angesichts der Krankheit sah man davon ab. Als 1937 Herberts Tante Bertha nach USA emigrierte, wollte auch Oma Betty ihr folgen und besorgte bald die nötigen Papiere für sich, ihren Sohn Max und den Enkel Herbert. Herbert hatte sich nach dem Tod seiner Mutter ohnehin oft bei der Großmutter aufgehalten, drei Häuser nebenan; sein Vater Julius musste ja sehen, wie er etwas verdienen konnte. Dennoch machte er immer wieder kleine Unternehmungen mit seinem Sohn. Warum Julius nicht mit ausreisen wollte, ist uns noch unklar.

Manche Mitschüler dürften sich noch an Herbert erinnern, auch wenn er nur 1½ Jahre mit ihnen lernte und immer wieder vom Lehrer lächerlich gemacht und geschlagen wurde. Einen Monat nach der Kristallnacht, in der beide Wohnungen demoliert und geplündert worden waren, reisten sie per Schiff 3. Klasse nach Amerika. Herbert hat seine Altersgenossen nie wieder gesehen. Nur Willy Messmer besuchte ihn 1987 einmal in Amerika.

Durch Tobias Rachor, einen Ahnenforscher, der in Mingolsheim lebt und bei unserer Initiative mitarbeitet, kamen wir vor kurzem mit Herberts Tochter in Kontakt. Sie berichtete ihrem Vater von unserem Vorhaben und erhielt die gezeigten Fotos von ihm.

Das dunkelste Kapitel im Zusammenleben gipfelte in der Deportation vor genau 75 Jahren. Aufgrund der Landflucht gab es 1933 nur noch 14 jüdische Einwohner in Mingolsheim, hinzu kamen acht in Langenbrücken. Mindestens 5 von ihnen starben in den nächsten 4 Jahren, die meisten emigrierten. So lebten 1940 in Mingolsheim noch vier Personen, in Langenbrücken eine. Alle wurden deportiert und starben entweder im Lager in Südfrankreich oder wurden in Auschwitz ermordet. Wir wissen genau, wo ihre Häuser lagen. Dort, so unser Anliegen, sollen im Gehweg Stolpersteine verlegt werden, um namentlich an die früheren Mitbürger zu erinnern.

Stolpersteine sind Teil eines europaweiten Prozesses der Erinnerung und Mahnung. Sie vergegenwärtigen heute und zukünftig das gewaltsam beendete Zusammenleben mit einem Teil unserer Bevölkerung. Zum anderen wissen viele der Nachfahren von dieser Aktion. Sie warten darauf, dass auch für Ihre Familienmitglieder solche Steine verlegt werden, und scheuen keine Anreise, um dabei zu sein. Es ist für sie eine Möglichkeit zur persönlichen Versöhnung mit der Leidensgeschichte in ihrer Familie. Auch für die heute in diesen Häusern Lebenden ist das oft von großer Bedeutung, wie wir etwa in Bruchsal erlebt haben. Als wir für die BNN das Foto in der Leopoldstraße aufnahmen, hat die Eigentümerin übrigens bereits signalisiert, dass sie zumindest keine Einwände hat. Auch von Seiten der Vertreter des heutigen Judentums gibt es in Baden keine Einwände.

Für unsere Initiative ist es aber ein Anliegen, an die vertriebenen und ermordeten Mitbürger nicht nur mit einer kleinen Messingtafel zu erinnern. Ein gutes Werkzeug dafür ist unsere Homepage. Sie ist seit wenigen Wochen freigeschaltet und soll laufend erweitert werden. Schülern wie Erwachsenen bietet sie eine einfache Möglichkeit, sich genauer über diesen Aspekt der Ortsgeschichte zu informieren. Hoffentlich regt sie viele auch an, uns weiteres Material wie eigene oder Familienerinnerungen, Fotos, Briefe und Gegenstände zu überlassen. Auch die Aufstellung von Informationstafeln im Zuge eines Konzepts für Ortsrundgänge würden wir sehr begrüßen. Wünschenswert wäre, dass diese so groß sind, dass sie auch eine Reihe von Fotos enthalten. Vielleicht kann unsere Homepage überhaupt einmal Teil des Internetauftritts von Bad Schönborn oder jedenfalls damit verlinkt werden.

Eine ganze Reihe von Personen hat schon dokumentiert, dass sie den Gedanken auch in Bad Schönborn Stolpersteine zu verlegen, unterstützen. Wir sind sehr dankbar dafür. In vielen Orten im Landkreis gibt es sie ja bereits; im Frühjahr wird auch Odenheim folgen. Nicht wenige Unterstützer haben ungefragt auch ihre finanziellen Beteiligung in Aussicht gestellt zu den Kosten von 120 € je Stück.

In Zukunft könnte in ähnlicher Weise an weitere Opfer der NS-Herrschaft erinnert werden, etwa Behinderte oder Sinti. Auch lebte eine größere Zahl von in Mingolsheim und Langebrücken Geborene in anderen Orten und wurde von dort aus deportiert und ermordet. Gehwege sind ja Eigentum der Kommune. Darum bitten wir den Gemeinderat herzlich, der Verlegung von Stolpersteinen in Bad Schönborn zuzustimmen und sich das Anliegen zu eigen zu machen!

Bildquelle: Screenshot der gezeigten Folien (von Felix Harling erstellt)

Reichspogromnacht: Zachor! Erinnere Dich!

Historische Ereignisse in Bad Schönborn

Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938

"Holocaust" - Bild von Liane Holl (Ausstellung von Januar bis März 2016 im Verdi-Haus Karlsruhe)
„Holocaust“ – Bild von Liane Holl (Ausstellung von Januar bis März 2016 im Verdi-Haus Karlsruhe)

Es war in der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938, als Juden in Deutschland von einem Pogrom heimgesucht wurden, dass in seinem fürchterlichen Ausmaß jedem Deutschen zeigte, welchen Weg die Juden in Deutschland und später auch in den von Deutschen besetzten Gebieten, noch gehen würden. Mit der Reichspogromnacht begann im gesamten Reich die heiße Phase der Judenverfolgung, welche nur noch durch die am 20.01.1942 auf der Wannseekonferenz beschlossene Endlösung – der totalen Vernichtung und Ausrottung der Juden- übertroffen wurde.

Durch das von Partei und Reichsregierung angeordnete Pogrom am 09. November, gingen im ganzen Land Synagogen in Flammen auf. Jüdische Geschäfte und Wohnhäuser wurden geplündert und zerstört. Viele Juden starben an den brutalen Misshandlungen, oder begingen in ihrer Verzweiflung Selbstmord. Tausende meist männliche Juden wurden verhaftet und in die KZ Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen gebracht.

Diese „Aktion“ gegen die jüdische Bevölkerung mit der vorübergehenden Inhaftierung, war von Heydrich höchstpersönlich angeordnet mit dem Ziel, die Familien unter Druck zu setzen, um deren Auswanderung zu beschleunigen und die Enteignung und Arisierung des Besitzes voranzutreiben. Dafür mussten bereits im April 1938 alle jüdischen Bürger das sogenannte „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ ausfüllen und beim Bürgermeisteramt abgeben. Es beinhaltete neben Bargeld, Grundstücken und Häusern auch das gesamte Inventar nebst beweglichem lebendem Inventar. Dieses Verzeichnis diente einzig und allein dafür, „feindliches“ jüdisches Vermögen zu enteignen und zu arisieren (anderes Wort für stehlen).

Die Pogromnacht in Mingolsheim

In der Pogromnacht versuchten fünf SA-Leute die Synagoge in der Friedrichstraße mit Benzin zu übergießen und anzuzünden, als ein Mann aus der Nachbarschaft der zufällig vorbei kam, den SA –Leuten erklärte, dass sich die Synagoge seit April in Privatbesitz befinde. Durch diesen Zufall wurde die Synagoge von der Zerstörung gerettet. Die SA- Leute zogen weiter zum Haus von Max Östreicher in der Leopoldstraße 3. Sie drangen in sein Haus ein und schlugen die Inneneinrichtung kurz und klein. Max Östreicher wurde verhaftet und saß vom 11.11 bis 20.11.1938 im
KZ Dachau. Nach seiner Entlassung aus dem KZ Dachau sah er sich gezwungen, zusammen mit seiner Mutter Betty Östreicher und seinem Neffen Herbert Falk, seine Heimat Mingolsheim zu verlassen, um in die USA auszuwandern. Dafür hatte Betty Östreicher das Haus mit Scheune und Stallungen, sowie einige Feldgrundstücke verkaufen müssen.

Julius Falk, der Vater von Herbert Falk und Schwager von Max Östreicher, wurde ebenfalls in der Pogromnacht verhaftet und ins KZ Dachau verbracht. Nach seiner Entlassung aus dem KZ Dachau kehrte Julius Falk wieder nach Mingolsheim in die Leopoldstraße 11 zurück. Er lebte dort mit seiner 2. Ehefrau Emma und seiner Schwester Elsa Falk. Julius und Emma verfügten nicht über die finanziellen Mittel, um ebenfalls nach Amerika zu emigrieren.

Die Pogromnacht in unserer näheren Heimat Bruchsal

Für die Durchführung des Pogroms in Bruchsal wurden u.a. auch Mitglieder der Mingolsheimer Reiter-SA herangezogen. Durch das Gleichschaltungsgesetz von 1933 wurden Angehörige des Reitervereins, ob sie wollten oder nicht, automatisch Mitglied in der Reiter-SA. Ein Mitglied, der am Novemberpogrom in Bruchsal beteiligt war sagte später dazu: „Das war grobes Unrecht. Wenn wir das je büßen müssen.“

In Bruchsal ging die Synagoge in Flammen auf und wurde vollkommen zerstört. Viele jüdische Geschäfte wurden zerstört, geplündert. Jüdische Mitbürger körperlich schwer misshandelt und verschleppt. Eine Jüdin aus Bruchsal hatte deshalb jegliche Hoffnung verloren und wählte den Freitod.

Prof. Ludwig Marx (1891-1964) war bis zu seiner Zwangsentlassung Lehrer am humanistischen Gymnasium (heute Schönborngymnasium) in Bruchsal und danach Lehrer an der jüdischen Schule in der Markgrafenstraße in Karlsruhe. In einem seiner Gedichte hat er über die Novembernacht Folgendes geschrieben:

Pogrom
Sie haben uns ihre Häscher gesandt,
sie haben unsere Tempel zerstört,
sie haben die heiligen Bücher verbrannt,
sie haben unsere Häuser verheert.
Sie haben uns zu Gefang`nen gemacht,
sie haben nicht vor dem Tode gebebt,
wir sagen Kaddisch in jener Nacht-
sie morden den Leib, unsere Seele lebt.
(Prof. Dr. Ludwig Marx 1891-1964)

Für die Initiative Stolpersteine für Bad Schönborn: Angelika Messmer

Quellen:
Willy Messmer: Wir müssen jeden Tag sprechen..
Die Reichspogromnacht und die Gedenkfeiern im Rückblick. Verlag Jugendwerkstatt Östringen e.V. 1990.

Erinnerung an jüdische Mitbürger

Karin Stenftennagel von der BNN Bruchsaler Rundschau fasst in einem Artikel die Gründung unserer Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ auf der Grundlage eines Vor-Ort-Termins in Mingolsheim zusammen. Besten Dank an die BNN!

Quelle: BNN - Bruchsaler Rundschau vom 07.11.2015 Seite 23
Quelle: BNN – Bruchsaler Rundschau vom 07.11.2015 Seite 23

Redaktionsleiter Daniel Streib erinnert in seinen „Randnotizen“ heute auch an den 9. November 1938. Er sehe die Stolpersteine auch als „allgemeingültige Mahnung und Warnung vor Intoleranz und was aus ihr entstehen kann“.

Quelle: BNN Bruchsaler Rundschau vom 07.11.2015 Seite 23
Quelle: BNN Bruchsaler Rundschau vom 07.11.2015 Seite 23

Die Deportation der letzten fünf jüdischen Mitbürger am 22.10.1940

Historische Ereignisse in Bad Schönborn vor 75 Jahren am 22. Oktober 1940

Die Deportation der badischen Juden nach Gurs und von dort in das Vernichtungslager Auschwitz war eine von Gauleiter Robert Wagner geplante, streng geheim gehaltene und von der Polizei mit deutscher Gründlichkeit durchgeführte Blitzaktion. Durch einen Erlass des badischen Innenministeriums in Karlsruhe vom 01.10.1935 und der Rundverfügung des Bezirksamtes Bruchsal waren die Gemeindeverwaltungen verpflichtet eine Judenkartei anzulegen, in der vierteljährlich über die Zu- und Abzüge der ortsansässigen Juden berichtet werden musste. Dadurch wusste man genauestens über die Anzahl der Juden in den einzelnen Landgemeinden und Städten Bescheid, sodass die Deportationen vom 22.10.1940 reibungslos durchgeführt werden konnten.

Am Morgen des 22.10.1940 wurden innerhalb weniger Stunden sämtliche ortsanwesende, transportfähige Juden zu zentralen Sammelstellen – in Mingolsheim war das der Marktplatz- gebracht. Von Bruchsal aus wurden sie nach Frankreich abgeschoben. Den betroffenen Bürgern blieb oft weniger als eine Stunde. Mit höchstens 50 Kilogramm Gepäck, 100 Mark Bargeld fuhren 6.504 badische Arbeiter und Angestellte, Professoren und Dichter, Viehhändler und Hausfrauen, Mütter, Väter, Brüder, Schwestern und Kinder ins Ungewisse.

Die deportierten jüdischen Mitbürger aus Mingolsheim und Langenbrücken waren:

  • Julius Falk und seine zweite Ehefrau Emma Falk, wohnhaft in der Leopoldstraße 11
  • Elsa Falk, die Schwester von Julius Falk, wohnhaft in der Leopoldstraße 11
  • Franziska Moses, 2. Ehefrau und Wittwe von Abraham Moses, wohnhaft in der Bruchsaler Straße 11
  • Selma Isaac, wohnhaft in der Dammstraße 2 in Langenbrücken.

Die Deportation der letzten jüdischen Mitbürger aus unserer Gemeinde verlief laut Augenzeugenberichte Folgendermaßen:

„Vor dem Rathaus stand ein Lastwagen, auf dem jüdische Männer und Frauen saßen, unter ihnen Franziska Moses und Julius Falk. Diesen musste ich ihre Papiere aushändigen… An diesem Morgen lief Franziska Moses ganz verzweifelt und laut weinend die Friedrichstraße hinauf und rief: “ich hab doch niemand was Böses getan und war zu allen gut- warum muss ich denn fort?“

Ein weiterer Augenzeuge berichtete, dass die Ehefrau des damaligen Ortsbauernführeres beim Abtransport der letzten jüdischen Mitbürger laut Beifall klatschte und die Stellungnahme des damaligen Ortsgeistlichen zum „Judenabschub“ lautete: “Die Deportierung der Juden ist die Strafe dafür, dass Sie sich nicht bekehren wollen.

Nachdem sie auf den am Marktplatz bereitstehenden Lastwagen verbracht wurden, ging die Fahrt zum Bruchsaler Bahnhof. Von dort fuhr der Zug ins Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen.

Die Deportierten kamen zunächst ins Lager Gurs und später in weitere Außen-Lager wie Noé und Récébédou in Südfrankreich. Hunger und Kälte und die unbeschreiblich schlechten sanitären Verhältnisse forderten bereits dort zahlreiche Opfer unter den Kranken und Hochbetagten. Eine weitere Zeitzeugin, die aus dem Lagerleben in Gurs berichten konnte, ist Emilie Baumann aus Eppingen, die in den 60iger und 70iger Jahren in Mingolsheim wohnhaft war. Emilie selbst war in Gurs interniert und erlebte die Ankunft der badischen Juden in Gurs mit. Sofort kümmerte Sie sich als ausgebildete Kinderkrankenschwester zusammen mit dem aus Karlsruhe stammenden jüdischen Kinderarzt Dr. Behrens um die Kinder. Aus ihren Erzählungen ist u.a. Folgendes vom Lagerleben überliefert:

“Ich schlief mit den Kindern in der Kinderbaracke auf dem Fußboden, es gab zu wenig Decken geschweige denn Matratzen, nur Strohsäcke. Wir schliefen immer mit den Armen über dem Kopf verschränkt, um unser Gesicht vor den Ratten zu schützen, die nachts über uns hinwegliefen.“

Von den aus Mingolsheim stammenden Juden kamen Elsa Falk und Franziska Moses als Internierte in Frankreich um:

  • Elsa Falk, die Schwester von Julius Falk kam am 30.06.1942 im Lager Récébédou um.
  • Franziska Moses kam 1943 im Lager Noé um.

Selma Isaac aus Langenbrücken wurde im August 1942 ins Durchgangslager Drancy nahe Paris gebracht und von dort aus wenige Tage danach, mit dem Konvoi Nr. 18 nach Auschwitz deportiert und sofort nach der Ankunft am 12.08.1942 vergast.

Emma Falk die zweite Ehefrau von Julius Falk verließ Drancy am 02.09.1942 mit dem Transport Nr. 27 nach Auschwitz und wurde sofort nach der Ankunft ermordet.

Julius Falk, der Vater von Herbert Falk wurde mit dem Konvoi Nr. 19 nach Auschwitz gebracht und vergast.

Die restlichen Geschwister von Julius Falk aus Östringen stammend, Berthold und Hilde Falk erlitten das gleiche Schicksal wie Julius und Elsa. Sie wurden von Frankfurt/Main aus ins Ghetto Lodz/Polen deportiert und sind dort vermutlich 1941/1942 gestorben oder im Vernichtungslager Chelmno vergast worden.

Nach der „Judensonderaktion“ vom 22.10.1940 konnte der Gauleiter Robert Wagner seinem Führer ein „judenfreies Baden“ präsentieren. Die Gendarmerie- und Polizeiposten der Gemeinden meldeten eine ordnungsgemäße Durchführung der Juden-Sonderaktion ohne besondere Vorfälle.

Bereits vier Wochen später, nämlich am 21.11.1940 wurde das „feindliche jüdische“ Vermögen des Julius „Israel“ Falk zur Versteigerung freigegeben und bis März 1941 hatte der gesamte Besitz den Besitzer gewechselt. Bis April 1941 war auch die Versteigerung des Vermögens der Familie Moses abgewickelt. Man rechnete offenbar auch in Mingolsheim nicht mehr mit der Rückkehr der rechtmäßigen Besitzer.

„Die Wahrheit aushalten
Das Höchste, was man erreichen kann,
ist zu wissen und auszuhalten,
dass es so und nicht anders gewesen ist,
und dann zu sehen,
was sich daraus – für heute – ergibt.
Hannah Arendt

Für die Initiative Stolpersteine für Bad Schönborn: Angelika Messmer

Literatur:
Willy Messmer, Juden unserer Heimat. (1986).
Willy Messmer, Judenschicksale in Bad Schönborn-Mingolsheim, im Jahrbuch des Landkreises Karlsruhe 1988.

Herbert Falk

Herbert Falk musste als siebenjähriger Junge seine Heimat Mingolsheim verlassen. Gemeinsam mit seinem Onkel und seiner Großmutter floh er vor dem Naziregime und seinen Unterstützern. Seinen Vater Julius hat er nie wieder gesehen. Sein Vater wurde im KZ Auschwitz ermordet. Julius Falk gehörte zu den fünf Bürgern, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.

Herbert Falk ist heute 84 Jahre alt und lebt bei Chicago in den USA. Er ist einer der letzten Zeitzeugen der Gewaltherrschaft der Nazis in Mingolsheim und Langenbrücken. Er hat uns seine Lebensgeschichte erzählt (Biographie Herbert Falk).

Die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ möchte an die Menschen erinnern. Dadurch geben wir ihnen ihre Identität und ihre Würde zurück. Deshalb erzählen wir die Geschichte und die Schicksale der Personen, die hinter den Namen stehen. Durch die Gewaltherrschaft der Nazis wurde ihnen Besitz, Heimat, Leben und selbst ihr Name geraubt.

Stolpersteine sind Gedenktafeln. Sie werden in den Boden des Gehwegs eingelassen. Sie sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert oder ermordet wurden (Opfergruppen).

Diese Steine werden in der Regel vor dem letzten frei gewählten Wohnhaus verlegt und dienen als öffentlich sichtbares Erinnerungszeichen. Indem sie folgenschwere Ereignisse der Vergangenheit im Bewusstsein bewahren, spielen sie eine wichtige Rolle für unser gemeinsames Gedächtnis. Sie sind Teil einer lebendig gehaltenen Ortsgeschichte.

Außerdem verbinden wir mit dieser Form des Gedenkens auch die Hoffnung, eine neue Brücke zu den Nachfahren dieser Menschen zu bauen. Denn viele von ihnen, in zahllosen Ländern der Erde warten auf solche Zeichen. Oft legen sie sogar sehr weite Wege zurück, um persönlich bei der Verlegung von Stolpersteinen anwesend zu sein.

Wir freuen uns auf zahlreiche Unterstützer. Wir werden auf diesen Seiten die Ergebnisse unserer Nachforschungen veröffentlichen. Ebenso auf <a href=“https://stolpersteine-badschoenborn.de/wordpress/veranstaltungen/“>interessante Veranstaltungen und Quellen aufmerksam machen. Dafür sind wir auch auf Ihre Mitarbeit angewiesen.

Schreiben und kontaktieren Sie uns!

Die Initiative „Stolpersteine Bad Schönborn“ wird z.Z. von folgenden Einwohner*innen aufgebaut:

  • Sprecher: Hans-Georg Schmitz (Mingolsheim)
  • Stellvertretende Sprecherin: Angelika Messmer (Mingolsheim)
  • Stammbaum-Recherche und internationale Zusammenarbeit: Tobias Rachor (Mingolsheim)
  • Öffentlichkeitsarbeit: Felix Harling (Langenbrücken)

Gedenken für die Opfer des Nazi-Regimes in Mingolsheim und Langenbrücken